Sommerwanderung 1995

Samstag, 8. Juli 1995

Zwanzig Wanderlustige haben sich für die Wanderwoche 1995 angemeldet. Im reservierten Abteil in Basel vorerst noch zögernde Beschnupperungsversuche mit der krampfhaften Bemühung, mir all die fremden Gesichter mit den dazugehörigen Namen einzuprägen. Mit Erleichterung stelle ich fest, dass ich nicht allein Neuling bin in dieser Gruppe. Elisabeth, Ruth und Peter waren auch noch nie mit dabei und in Olten steigen Vreni mit Babsy und Christiane zu. Vreni gehört allerdings schon zum harten Kern und sie hat bei Christiane und Ruth heftig Werbung gemacht. Irgendwann ist auch plötzlich Bea aus Romanshorn, die Tochter von Hans Mory bei uns. Ein Teilnehmer musste im letzten Moment passen, weil er krank wurde.
Hanspeter ist inzwischen mit dem Postauto, in welchem wir alle Rucksäcke verstaut haben, weitergefahren und ist dafür besorgt, dass wir uns erst in Stechelberg mit dem erhebenden Gefühl eines dahintrottenden Packesels anfreunden müssen. Einigen ganz Eingefleischten machen solche Gefühle natürlich schon lange keinen Eindruck mehr und sie lechzen danach, losrennen zu können.

Erster Zwischenhalt

Aber doch wenigstens am ersten Zwischenhalt jedes Tages, so nehmen wir uns vor, wollen wir alle zusammen verschnaufen und Monique hat sich anerboten, jeweils eine kleine Lesung zu halten. Die hautnahen Eindrücke eben erlebter Wasserspielereien inspirierten sie zum Zitat von Herrn Goethe:

Des Menschen Seele gleicht dem Wasser
Vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es,
und nieder wieder zur Erde muss es, ewig wechselnd
Strömt von der hohen, steilen Felswand
der reine Strahl, dann stäubt er lieblich
in Wolkenwellen zum glatten Fels
und leicht empfangend wallt er verschleiernd
leise rauschend zur Tiefe nieder
Ragen Klippen dem Sturz entgegen
schäumt er unmutig stufenweise zum Abgrund.
Im flachen Bette schleicht er das Wiesental hin,
und in dem glatten See weiden ihr Antlitz alle Gestirne.
Wind ist der Welle lieblicher Buhler
Wind mischt von Grund aus schäumende Wogen.
Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser;
Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind.

Nach einer kurzen Strecke, die uns durch trollblumenübersäte Wald- und Blumenwiesen führt, beginnt schon der erste Aufstieg der von den Einen leichtfüssig und von andern eher keuchend bezwungen wird. Ich gehöre zu den Andern. Oben angelangt, verlangt die dürstende Seele nur noch lechzend nach einem Schluck Tranksame, ehe sie sich wieder etwas sammeln kann und überwältigt das Panorama von Eiger Mönch und Jungfrau in allernächster Nähe langsam in sich aufnehmen kann.
Von hier zieht sich der Weg dem rucksacktragenden Wanderer freundlich gesinnt auf fast gleicher Höhe an Enzianen, Schwefelanemonen, Schlüsselblumen und sogar Krokussen und Soldanellen hin zur Rotstockhütte.

Rotstockhütte

Dort baden die ersten schon ihre Füsse im kühlen Brunnentrog und es dauert nicht lange, so darf dieser sogar einem ganz Unerschrockenen als Badewanne dienen. Für die grosse Toilette hat man ausser dem Brunnen noch eine zweite Waschgelegenheit im obern Teil des Häuschens, in welchem sich unten zwei fliegenumschwirrte Plumpsklos befinden. Die Tücken dieses Erleichterungskabinetts liegt für mich als Bergbanause eigentlich nicht bei der runden Öffnung, sondern eher bei diesem blöden Querbalken auf Schienbeinhöhe der Tür. Weil man während der Benützung den Atem anhalten muss, sorgt nämlich dieser Balken für eine blitzartige Beförderung ins Freie, wo man dann am Boden die würzige Alpenluft wieder voll in seine Lungen einsaugen kann.
Nach einem währschaften Älplerznacht in dieser Hütte des SC Stechelberg, auf 2039 Metern, ziehen wir noch die Aussicht auf die weisshäuptigen Eiger, Mönch und Jungfrau ein. Bis es dunkel wird und die Ersten sich in die schmalen, spartanischen Himmelbetten zurückziehen, schwingen sich muntere Weisen aus dem Lalibu dem fast 1000 Meter höhergelegenen Drehrestaurant des Schilthorns entgegen.

Sonntag 9. Juli

Geschlafen habe ich eigentlich gut, nicht einmal das vielstimmige, sachte Geschnarche konnte mich erschüttern. Im Gegenteil, es machte mich fast etwas wehmütig. Aufs Kommando: Senne stönd uuf! beginnt ein Geläuf und Getuschel und Geraschel und Gepacke und Gestöhn und ich möchte mich am liebsten noch unter die Decke verkriechen. Gegen Morgen war das Kissen so hart geworden und nun brummt irgendwie mein Schädel. Vielleicht vergeht’s, wenn ich mich am klaren Bergbrunnen wasche. Aber sogar wiederholtes Aufsuchen des stillen Örtchens nützt nichts und ich schaffe es gerade mit ach und Krach, einen Tee und ein Stück trockenes Brot zu mir zu nehmen. Mir wird himmelelend und wenn ich mich jetzt nicht hinlege, kippe ich wieder um wie schon einmal in Pontresina. Dabei ist in einer Viertelstunde Abmarsch. Aber ich will doch mit!!! Jetzt holen sich schon die Letzten ihre Rucksäcke und Bea macht kurzentschlossen einige Lockerungsübungen mit mir für diverse Nervenzentren. Sie kommt mir vor wie der Chiropraktiker, aber es tut gut und ich fühle mich sogleich viel besser. Und jetzt will ich mit, und eisern packe ich meinen Rucksack auf den Buckel und schere mich einen Deut um meinen Bauch! Die frische Morgenluft durchströmt die Lungen und bringt neue Energie in den ganzen Körper. Und bald ist der ganze Spuk vorbei und ich staune wieder einmal, wie man seinen Körper manchmal mit dem Willen steuern kann.
Der Aufstieg Richtung Sefinenfurgga erfolgt sachte aber stetig und bald durchqueren wir die ersten Schneefelder. Wenn das nur gut geht mit diesem Schnee. Ich habe ein bisschen Angst vor dem Ausrutschen und in meiner Phantasie sehe ich mich schon auf dem Hosenboden den Hang hinuntersausen und unten auf den Steinen jämmerlich zerschellen. Darum habe ich heute auch meine Stöcke ausgepackt und den ersten Kampf mit diesem Gestänge hinter mich gebracht. Jetzt geht’s schon ganz gut und ich muss ehrlich gestehen, dass diese Dinger eine riesige Hilfe sind. Dabei habe ich immer gehöhnt. Ich glaube ich muss alles zurücknehmen.

Frühmorgendlicher Aufstieg

Bei einer Verschnaufpause kurz vor dem letzten steilen Stück auf einem aperen Felsen, schaue ich einmal zurück zum Schilthorn und dem herrlichen blauen Seelein Hinderem Horn. Zu meinem Schreck sehe ich jemanden von uns mühsam das Schneefeld hinansteigen um wieder zum Pfad zu gelangen. – Ist jemand abgestürzt? Aber allem Anschein nach ist nichts passiert. Das apere Stück ist nicht sehr gross, aber zum Teetrinken reicht’s. Nun kommt auch Hans und an unseren angstvollen Gesichtern sieht er wahrscheinlich, dass es Zeit ist, einmal richtige Instruktionen zu erteilen, wie man sich auf einem Schneefeld verhalten muss, wenn man ins Rutschen gerät und er rennt einfach so drauflos in den Schnee hinein. An diesem steilen Hang! Mir steht fast das Herz still. Er dreht sich schnell, so dass er sich mit den Fussspitzen und den Händen im Schnee auffangen kann. Also Bauch unten, aber nicht liegen. Er macht es zwei, dreimal vor und es scheint zu funktionieren. Es hat sein Gutes, dass er sich im Schneefeld so wohl fühlt, denn bevor wir weitermarschieren, muss er noch einen Rucksack heraufholen, der selbständig ausprobieren wollte, ob der eben vorgeführte Trick für ihn auch funktioniere – eben Rücken nach oben!
Zu wissen, wie man sich verhalten soll, bedeutet für mich eigentlich eine grosse Erleichterung und zuversichtlicher vertraue ich mich dem nächsten Schneefeld an. Aber ausprobieren möchte ich es doch nicht gerade hier an diesem letzten steilen Stück bis zur Furgga. Der Zugwind oben hält uns davon ab, allzulange von den nun bekannten Spitzen und Bergen Abschied zu nehmen und in aller Ruhe die Neuen zu begrüssen und wir stürzen uns in die Felswand. Das oberste Stück ist auch auf dieser Seite recht steil und zum Glück kann man sich an einem Drahtseil halten. Der Boden hier ist recht lebendig und rutschig – und schon landen wir wieder im Schnee. Am besten sollten wir alle selber eine Spur machen und Hans zeigt uns wieder wie: schön gerade nach unten schauen und fest die Absätze in den Schnee schlagen. Bei ihm geht das ganz locker aber wiiir haben Angst vor dem Ausrutschen und wir rutschen auch. Probieren wir’s halt nochmals und die Schuhe nicht schräg, und den Po nicht so hinten hinaus! So geht’s schon besser und besser und plötzlich packt’s mich und ich renne den Hang hinunter und könnte jodeln. Schade, dass nicht alle ihre Angst so schnell in den Rucksack packen können, so muss Hans sie geduldig zu Tale hieven und er kommt um sein Vergnügen, ein Schneefeld nach seiner Art auszukosten. Er kann’s nämlich, wie wenn er Skier an seinen Füssen hätte.
Bei einer Alphütte hole ich die vordere Gruppe bei einer Rast ein und verweile hier auch etwas. Weil diese aber die Wasserfälle auf der Griesalp heute noch besichtigen möchten brechen sie schon bald wieder auf. Bis ich meinen Rucksack wieder zusammengepackt habe, trifft nun auch die hintere Gruppe ein und ich kann mich wieder nicht entschliessen, wo ich mich anschliessen soll. Eigentlich würde ich schon gern die Wasserfälle heute noch sehen. Morgen steht nämlich ein Sechsstündiger auf dem Programm. Also zottle ich hintendrein und muss feststellen, dass alle einen viel geübteren Schritt haben als ich und der Abstand wird immer grösser. Vielleicht machen sie dort unten bei dieser Alphütte Rast, damit ich sie einholen kann. Aber bald sehe ich sie weiter unten im Wald verschwinden. Mich erinnert der plätschernde Brunnen vor der Hütte daran, dass ich ja meinen Eistee auffüllen könnte und schaue mich nachher nach einem Schattenplatz für die Siesta um. Dort aber lagern und meckern eine Schar Ziegen. Dann warte ich halt beim nahen Wald auf die Nachhut, denn ganz allein möchte ich auch nicht auf der Griesalp einlaufen, weiss auch nicht einmal mehr wie das Berghaus heisst.
Ganz einfach Berghaus Griesalp heisst es und in der Gartenwirtschaft bietet uns ein Jodlerclub singend einen herzlichen Empfang. Zwei Räume unter dem Dach mit breiten Matratzenlagern und sogar zwei Duschen stimmen unsere Gemüter noch sanfter. Für Babsy allerdings schlägt schon die Stunde des Abschieds. Mit diversen Utensilien beladen, die der Eine oder die Andere nun doch nicht eine Woche mitschleppen wollen, begleitet sie uns den Wasserweg hinunter, um auf die nächste Postautostation zu gelangen. Wir können dieweil unsere Nasen in die Griesschlucht und wer will, noch unter andere Wasserfälle stecken. Aber Babsy, Du hast es gut gemacht, die Überquerung der Sefinafurgge in Turnschuhen!!
Das Nachtessen ist einsame Spitze, aber das Dessert stellt natürlich alles andere weit in den Schatten. Das macht das Herz so froh, dass einige sich zu ein paar Heimatklängen herumwirbeln lassen und später klingt auch dieser Abend im vielstimmigen klagenden Gesang des Nachtigall-Liedes aus.

Montag 10. Juli

Dem neuen Tag entgegen jubilieren hier andere Vogelstimmen als bei mir zu Hause. Zwar eine einzige Amsel erkenne ich, aber die andern, die nach und nach in den vielstimmigen Chor einstimmen…? Sicher könnte hier Peter Auskunft geben, er befasst sich hobbymässig mit Ornithologie. Aber eigentlich könnte ich doch all die Namen nicht behalten und so erfreue ich mich lieber am Zuhören. Nicht ganz in dieses Konzert passt allerdings das penetrante Ü-Ü-Ü-Ü-Ü von Hansins Wecker, der allenthalben den Marsch zum Aufstehen piepst.
Der Bus, der uns nach Kiental zum Sessellift bringen wird, fährt erst um halb neun, und so können wir in aller Ruhe frühstücken; wer will kann noch die nahen Gletschertöpfe besichtigen oder ganz einfach die Zeit auf der Rutschbahn oder dem „Ritseil“ verbringen. Die Grossmutter mit Wanderschuhen an den Füssen in hohem Schwung auf der Schaukel…! – ich geniesse das Gefühl der Erinnerung, des Fliegens oder Abhebens und davongetragen werden und ein bisschen Melancholie beschleicht das Herz.
Der Postautochauffeur hat ein Herz für alle, die die Wasserfälle nicht besichtigt haben. Er fährt ganz langsam oder hält sogar an den Stellen mit dem besten Ausblick, sei’s auf den Dündebach oder die Hexenküche mitsamt der hölzernen Hexe.
Leise schaukelnd hebt uns der Sessellift durch die friedliche Morgenstille empor nach Ramslauenen. Einzig der Gesang eines Goldhähnchens begleitet unser Schweben. Wieder auf den Füssen, beginnt unser Weg über die Nordrampe der BLS zuerst mit einem kurzen viertelstündigen Aufstieg. Alsdann zieht sich der Weg mehr oder weniger auf gleicher Höhe durch Wald und Alpweiden dem Kiental entlang, bis wir dem Hunds- und Gpaltenhorn und dem weissen, hohen Schneefeld über welches der Weg übers Hohtürli geführt hätte, ade sagen können. Dafür öffnet sich uns das Kandertal mit Frutigen und seinen Gleisanlagen der Lötschberg-Nordrampe der BLS. Balmhorn und Altels begrüssen uns von weitem. Kaum zu glauben, dass wir uns übermorgen weit hinter deren Rücken befinden werden.
Es ist heute ein recht heisser Tag und wir beabsichtigen, bei Mitholz in die Tiefe zu stechen, um auf den Bus zu warten. Karl und Lotti, die beiden Vorausrenner haben noch den früheren Bus erwischt und sind bestimmt schon am lädele in Kandersteg. Monique sitzt im Gartenrestaurant bei der Haltestelle ganz allein hinter einer feinen Glace und als erstes fragen wir den Kellner, ob es gestattet sei, die Füsse im Brunnenbassin zu baden. Wir freuen uns wie Kinder und wollen sehen, ob’s zischt beim Eintauchen.
In Kandersteg wird für Proviantnachschub gesorgt. Ich komme zu einem neuen Sonnenhut, der besser sitzt. Trotz kreuzweise hineinpferchen, haben im kleinen Büslein nicht alle Platz und vier bleiben für die Nachhut übrig. Die Rucksäcke auf den Oberschenkeln kann man gar nicht so richtig die Reize des Gasteretals geniessen. Sein enger Riegel mit der Schlucht vorn bei Kandersteg und später das flache, wegen der Schneeschmelze teils überflutete Gelände der jungen Kander. Ein Pfadilager hat hier weit abgeschieden seine Zelte aufgeschlagen. Vielleicht setze ich dieses Tal einmal auf ein eigenes Wanderprogramm, um auch den vielen Sturzbächen besser Beachtung schenken zu können.
In Selden ist Kantonementbezug. Wir haben uns zwar auf eine Dusche gefreut, aber einige begnügen sich halt statt dessen mit dem frischen Bergbach. Ansonsten wird entspannt und ausgeruht. Oder die morgige Tour auf der Karte inspiziert. Und Brillen repariert! Letzten Freitag haben wir beim Abschiedsapero in der GMH erfahren, wie man Verbindungen herstellt. Hans wurde mit einem goldenen Hansi-H geehrt. Hat er es an Hanspeters Brille angewandt? Nach dem Nachtessen möchte niemand mehr grosse Stricke verreissen und noch ehe es ganz dunkel ist, sind schon alle in der Heia. Nur der Esel (ein richtiger, N.B.) gibt draus­sen noch laut und bald ist auch er ruhig und zum Fenster herein tönt nur das mächtige Rauschen der vielen Bäche allüberall.

Dienstag, 11. Juli

Beim Morgenessen fehlt nur noch Hanspeter. Er hat seine Gurttasche nicht mehr finden können, dabei legte er sie doch heute Morgen auf dem Tisch bereit. Der Wirt gab zu bedenken, dass hier die Eichhörnchen gerne alles mögliche stehlen würden und so wurde HP am Bach hinter dem Haus fündig. Was wären wir später am Restipass gewesen ohne die präzisen Angaben der noch zu bewältigenden Höhenmeter: nur noch 100m,… noch 50….noch 20…..etc. Aber heute haben wir den Lötschenpass vor uns. Zu Beginn kommen wir in den Genuss, eine herrliche Hängebrücke über die junge, aber tosende Kander zu überschreiten. Und schon beginnt der Aufstieg. Annigna ist Schrittmacher. Sie kann das wunderbar. Dieser stetige, gleichmässige Schritt. Immer mit dem Blick auf die Beine des Vordermannes oder der Vorderfrau kommt man mühelos steil bergan.

die Felsbarriere am Lötschenpass

Aber man hängt auch seinen Gedanken nach. Zum Reden ist denn doch keine Puste mehr übrig. Wie wir uns nun so aus den Tiefen des Tales hinaufarbeiten, Schritt um Schritt, immer höher und höher, kommt mir ein Teil eines Gesprächs von gestern in den Sinn. Margrit hat unter anderem gesagt, aufwärts führe ein Weg nur, wenn er auch unten durch gegangen sei. Und mir wird gerade bewusst, dass am tiefsten und dunkelsten Punkt eigentlich der Beginn der schönsten Zeit in meinem Leben war. Es war, als ich Werner kennen lernte. Werner – nun kommt es wieder hoch, der Schmerz und die Trauer und der Kloss im Hals raubt mir jetzt auch noch die Luft, die ich zum bergan steigen brauche.
Da deutet Annigna auf den Wegrand, wo wunderschöne weisse Paradieslilien blühen. Paradieslilien – ich habe noch nie welche gesehen. Paradieslilien – ein Zeichen aus dem Paradies, ein Wink? Und schon heule ich erneut, aber mehr aus Dankbarkeit für den Trost! Zum Glück wird gerade eine kleine Verschnaufpause eingelegt und ich kann mich wieder einigermassen sammeln.

Schnee, Schnee, Schnee beim und auf dem Lötschegletscher

Weiter nehmen wir den Aufstieg in Angriff. Diese riesige Barriere aus Fels und Eis, die aus dieser Perspektive unbezwingbar erscheint. Man könnte nicht ahnen, wo hier ein begehbarer Weg hinaufführt. Aber unverdrossen, Schritt um Schritt im gleichen Takt mit Atem und Stock, zieht uns Annigna wie an einem unsichtbaren Gummifaden aus der Tiefe hinauf immer höher. Fast könnte man meinen himmelan, wo sich der weisse Gletscher weit ausbreitet und den wir nun bezwungen, triumphierend überqueren. Jetzt noch eine letzte kleine Kletterpartie, die mit befestigten Drahtseilen etwas Sicherheit bietet. In einer geschützten Mulde halten wir Mittagsrast. Nur noch ein Schneefeld trennt uns von der Hütte auf dem Pass.

Paradieslilien – Tanz auf dem Lötschenpass – Abstieg

Den Kaffee wollen wir uns dort genehmigen. Ein grosses Kreuz vor der Hütte lädt zur Besinnung und Bewunderung des neuen Panoramas mit Bietsch- und andern Hörnern ein.
Bei soviel Besuch aufs Mal lohnt sich’s für den jungen Burschen von der Hütte, sein Örgeli hervorzuholen und uns eins zu spielen. Von der Wirkung seiner Klänge selbst überrascht, muss er nun sicher sein ganzes Repertoire, welches er ohne Noten lesen zu können lernt, durchspielen. Man spielt nämlich nicht ungestraft einer Volkstanzgruppe auf, ohne dass das nicht eine Herausforderung ist. Und sei’s mit Wanderschuhen und Blasen an den Füssen. In so einem Moment wird müdigkeit klein geschrieben. Und wozu hat der Gletscher vor Jahrtausenden eine so feine Tanzfläche geschliffen?
Nun ist die Kummenalp sicher schon in greifbarer Nähe, geht’s doch von hier „nur noch“ bergab. Eigentlich ist das meiste nur Schneefeld. Des einen Wonne und des andern Horror. Diesmal gehöre ich glaub schon zu den einen. Mir macht’s Spass. Aber ganz ungetrübt ist dieser doch nicht, bange ich doch mit denen, die mehr die Textilbremse zu betätigen suchen und sicher Blut schwitzen und bestimmt etwas drum geben würden, sie sässen drunten bei einem Glas kühlen Nass und nicht mit dem Hintern hier oben im kühlen Weiss. Hoffentlich werden ihre Ängste noch etwas entgolten durch die wunderbare Alpenflora weiter unten, wo der Winter nun doch endlich endgültig besiegt ist. Pelz- und Schwefelanemonen zu Hauf blühen um die Wette. Sogar Feuerlilien gibt es hier.
Im Logis, das uns für zwei Nächte aufnehmen soll, herrscht eine ziemlich kleinlaute bis bedrückte Stimmung. Wir sind im Untergeschoss oder Stall einquartiert, der als Massenlager für etwa 14 Personen eingerichtet ist d.h. es hat Platz für eben 14 Matratzen, aber wohin mit den Rucksäcken und den Schuhen? Nirgends Nägel oder eine Möglichkeit etwas aufzuhängen. Der Einfluss des langen Winters macht sich auch bemerkbar. Im schlecht belüftbaren Raum sind die Matratzen und Kissen leicht feucht und werden sogleich an die bald hinter Gewitterwolken verschwindende Sonne gelegt. Und wir dachten, am Ruhetag könnten wir vielleicht etwas auswaschen oder sich sonst etwas breit machen. Ich sehe uns schon alle nach zwei Nächten mit Gsüchti und weiteren Gebresten die Wanderung an den Stöcken hängend weiterzuächzen und bin wieder einmal vorlaut mit dem Vorschlag nach einem bessern Massenlager Ausschau zu halten. Aber das kann man ja auch nicht machen. Wir sind hier angemeldet und die Wirtsleute haben für uns für zwei Tage eingekauft. Jetzt probiert Hanspeter jedenfalls, dass wir im oberen Raum sein können und noch die Zimmer belegen. Hier ist wenigstens Platz zum Zirkulieren und die Matratzen sind trocken. Widerstrebend zwar wird uns gewährt. Man hat generell das Gefühl, dass den Angestellten hier das Wohl der Gäste nicht sehr am Herzen liegt. Oder jedenfalls alles, was zusätzliche Arbeitsstunden beschert.

Amenities in der Kummenalp

Auf eine Dusche haben wir uns heute wieder vergebens gefreut. Am Brunnen muss man Schlange stehen, so suche ich hinter dem Haus das lauschige Plätzli auf am klaren Bergbach. Inmitten der Alpenblumen und duftenden Männertreu braucht es eigentlich kein langes Zögern und Wasser kalt oder nicht, für einen erfrischenden Moment sitze ich halt ganz im Bach. Zu spät bemerken wir drei Frauen, dass der Wanderweg auf der andern Seite des Baches vorbeiführt und zwei verdutzte Wanderer nicht wissen,ob sie nun schauen sollen oder nicht. Henu so de, winken wir ihnen halt mit wehenden Unterhemden hinüber. Ewägluege können sie uns ja nichts. Und überhaupt entdecken wir plötzlich noch mehr Zuschauer. Bei der andern Alphütte und unser Hüttenwart. Aber am andern Tag meine ich, hat es doch sein Gutes gehabt. Der Bach ist gestaut, so dass es eine tiefere Badewanne hat und man kann sich den kleinen Wasserfall den Rücken hinunter plätschern lassen. Ansonsten sind die sanitären Anlagen Klasse. Ein Schlauch, direkt im Bach gefasst sorgt für Permanentspülung des WC und entsorgt wird dies auch wieder direkt in den Bach. Wer’s nicht glaubt, könnte es ja kontrollieren!
Froh, heil unten angekommen zu sein, lädt uns Ruth zu einem Apero ein, was mich wieder in den Clinch bringt, weil ich versprochen habe mit Vreni, Monique und Hanspeter den Apero in der Restisalp zu genehmigen, von wo man einen phantastischen Ausblick über das gesamte Lötschental hat.
Während des Heimwegs siegt nun doch noch die Gewitterwolke und lässt ihr Nass fallen. Vreni vorsorglich mit und ich bedenkenlos ohne Regenschutz ausgezogen, teilen uns nun den Einen und im Multipack marschieren wir den letzten halben Kilometer der Kummenalp zu, einem na.. währschaften Nachtessen entgegen. Einige freuen sich darauf, nach dem Essen noch etwas ihrer neuentdeckten Spielleidenschaft für 6 nimmt zu frönen, ehe man sich mittels Taschenlampe seinen Weg ins Nestchen suchen geht.

Mittwoch, 12. Juli

Eigentlich ist heute Ruhetag, aber Schicks machen uns das Lötschental so schmackhaft, dass wir ausziehen, es selbst erkunden zu wollen. Vor allem weil ohne Rucksack und eh alles nur sanft und leicht hinuntergeht. Vier Stunden nota bene.
Schon der Weg nach der Lauchernalp verzaubert: alles voller Paradieslilien. Und Bäche rauschen von den Tälern und Vogelgesang aus der Höhe und Kuhglockengebimmel und ein fahr- und transportierbarer Melkmaschinen-Kiosk auf der Alp!

bei Andy und Thomas auf der Hockenalp

Der erste Hock ist in der Hockenalp bei André und Thomas. Mit viel Liebe führen die Beiden hier ohne Strom und Kühlschrank ein herziges Beizli. Nach der Besichtigung der Kapelle wird man hier richtig verwöhnt. Man lässt sich oder die ganze Gruppe fotografieren, damit man auch mal im Bild ist. Eh man von dannen zieht mit dem Versprechen, auf dem Heimweg nochmals vorbeizukommen, gibt’s noch eine Schoggi zum verteilen. Jetzt will sich wieder niemand für eine gerechte Verteilung zuständig fühlen und so fällt es Thomi zu, jedem beim Abschied ein Täfeli persönlich in den Mund zu stecken. Wie süss!
Erwartungsvoll marschieren wir auf diesem herrlichen Wanderweg in Richtung Schwarzsee, wohlversorgt mit Badkleid als einzigem Gepäck. Da liegt er vor uns, ein einzigartiger, glasklarer Bergsee. Aber das sei gar nicht der Schwarzsee, der sei noch nie da gewesen, seit Hanspeter das Lötschental kenne. Vielleicht ein Produkt der grossen Schneeschmelze? Schade, dass Liselotte vor fünf Minuten umgekehrt hat, weil sie nicht soweit bis zum Schwarzsee gehen wollte. Dieses Seelein hätte ihr als Wasserratte sicher sehr gut gefallen. Für mich persönlich liegt sein Reiz mehr im Beschaulichen als in der Lust, darin zu schwimmen. Er ist sicher viel zu kalt. So schliesse ich mich der Gruppe an, die weiterzieht um in einer halben Stunde die Temperatur des wirklichen Schwarzsee zu testen. Wir treffen ihn wohlbevölkert an und man könnte meinen, man befinde sich im Eglisee. Zwar ist er nicht so glasklar, aber dafür sicher nicht so kalt, ich schätze um 18 bis 20°.
Zum oder nach dem Mittagessen treffen wir uns fast alle wieder in der Fafleralp. Die Nimmermüden wollen den Weg bis zur Seilbahn auch noch unter die Füsse nehmen, nicht zuletzt um die sehenswerten Kirchlein unterwegs zu besuchen. Des einen Akustik wurde, wie später berichtet wurde, durch ein Duett aus unseren Reihen getestet. Ich beschliesse, mich Doris anzuschliessen und Kippel zu besichtigen. Monique will direkt Richtung Lauchern, auch Karl und Lotti. Karl fühlt sich nicht wohl. Er hat eine Erkältung erwischt und hatte gestern sogar Fieber.
Wir fragen, ob man direkt Lauchernalp lösen könne. Die Bahn fahre aber nicht, sie habe eine Panne. – ! – Ach du mein Schreck, wie kommen wir jetzt wieder auf die Kummenalp? Per Pedes? Aber nein, nicht doch! Von wegen Ruhetag! Vor Schreck vergesse ich gerade, Kippel zu besichtigen, aber auf der Talstation werden wir beruhigt, es sei alles wieder o.K. und nach einem kurzen Abstecher um für Liselotte ein Joghurt zu posten, sehen wir gerade die Gondel mit Karl und Lotti entschweben.
Bei der versprochenen Einkehr auf der Hockenalp treffen wir Vreni. Sie hat zusammen mit Hans Mory einen Abstecher Richtung Faldumalp gemacht. Ihnen waren heute die Alpenflora näher gewesen als das Bergseebad. Und um eine wunderschöne Feuerlilie zu fotografieren habe Hans fast sein Leben riskiert.

Über den Lötschenpass

Das stille Örtchen in diesem Beizli hat nicht Permanentspülung wie auf der Kummenalp. Es steht einfach ein Wassereimer neben dem Klosett, der nach Gebrauch einfach wieder aufzufüllen ist am Brunnen, auf dass der Nächste….
Da heute wieder Gewitterwolken dräuen, wollen wir nicht auf die Letzen warten und schauen, dass wir heimzu kommen. Bis am Abend, nicht zuletzt beim Anblick des weissen Restipasses, den wir morgen überqueren wollen, hat sich Ruth entschieden, hier im Lötschental zu bleiben und noch zwei drei Tage dieses wunderbare Tal zu geniessen. Auch Karl wird morgen nicht mit uns kommen. Er wird aber am Abend auf der Gemmi wieder auf uns warten.

Donnerstag, 13. Juli

So ziehen wir Sechzehn Richtung Restipass in den frischen Morgen hinein. Für Hanspeter gibt sein Höhenmesser auf dem Pass wahrscheinlich noch nicht genug Höhenmeter an und er muss noch das grosse Schneefeld und die Felsen bei den Lauchernspitzen erklimmen um auf der andern Seite noch die Faldumalp und möglicherweise auch noch Goppenstein zu sehen. Jetzt macht er sich wieder bereit, das Schneefeld im Abstiegstempo zu geniessen und er schafft es in genau zweieinhalb Minuten. Einstimmig wird dieser Hügel in ‘Only-John-Up-and-Down-Hill’ umbenannt.
Nach einem kurzen Abstieg hinter einem Hügel versteckt, liegt wiederum ein wunderschöner Bergsee. Weissee heisst er diesmal ganz zutreffend, denn seine weisse Schneedecke, die ihn den Winter über zugedeckt hat, ist noch nicht ganz geschmolzen und auf seinem türkisblauen Wasser schwimmen viele kleine Eisberge. Ich bin wieder einmal ganz verzaubert ob soviel Schönheit. Wie fühlt sich meine Seele hier in der Mächtigkeit der Berge der Ewigkeit so nah!
Diverse Varianten für das weitere Programm für heute werden nun besprochen. Vorgesehen ist, mit der Schwebebahn nach Leukerbad, und von dort auch mit der Bahn wieder auf den Gemmipass zu gelangen, wo unser heutiges Nachtquartier wartet. Wer Lust hat, kann natürlich in Leukerbad baden. Oder man könnte den einmaligen Aufstieg auf die Gemmi unter die Füsse nehmen, wenn jene die fahren, den Rucksack mitnehmen. Oder beides, baden und Gemmi erleben. Oder lädele. Oder hier noch ausgedehnt Mittagsrast geniessen. Mit jenen, die baden wollen ziehe ich früher los Richtung Torrentbahn. Dieser Höhenweg öffnet uns die Sicht hinunter ins Wallis, wo die Rhone gewaltige Mengen Wasser führt und zum Teil das ganze Gelände überschwemmt.
Bei der Bergstation bestaunen wir die bizarren Felsen auf der gegenüberliegenden Seite, in welchen irgendwo ein Weg hinaufführt in die Gemmi. Da sticht mich doch das Teufelchen und es glustet mich sehr, dort hinaufzukraxeln. Aber vielleicht sollte man doch nicht vorher im Thermalbad baden. Und so schliesse ich mich Peter an. Bei einer Glace in einem Beizli fällt der endgültige Entscheid, mit einer Flasche Tee und einem Ovosport und ohne Regenschutz bewaffnet, es zu wagen. Peter verspricht, etwas auf meine Puste Rücksicht zu nehmen und sich eher meinem Tempo anzupassen und so wird auch dieser Aufstieg zu einem einzigartigen Erlebnis.
Der Weg ist gut gesichert und zum Teil recht breit ausgebaut. Überholt werden wir von Hans, der das Angebot für einen Schluck Tee ausschlägt. Er wolle seinen Rhythmus nicht unterbrechen, und so rast er in einer, statt wie andere Leute, in zwei Stunden über diese Felsentürme hinauf. Bald bläst ein starker Gewitterwind durch die Felsspalten herunter, aber wir haben Glück, wir erreichen das Hotel Wildstrubel noch trocken in zehn Minuten weniger als zwei Stunden. Ich bin ganz stolz auf mich selber und meine Leistung. Nun aber ab unter die Dusche! Diese muss man hier mit Fünfzigerli füttern und während Peter wechseln geht, halte ich mir eine Dusche frei, denn eben sind eine Menge Studenten hier eingetroffen, die sich natürlich auch auf eine Erfrischung freuen. Inzwischen ist nun das Gewitter voll zur Entfesslung gelangt und es schüttet…. Und Hanspeter und Christiane sind noch unterwegs. Sie sind die Einzigen, die nach dem Baden nun doch noch zu Fuss heraufsteigen wollten. Endlich – gottseidank! Natürlich kein trockener Faden ist mehr an ihnen. Also schnell zuerst einen Schluck heissen Tee und dann ab in trockene Kleider!
Während draussen das Gewitter noch weiter Schauspiel gibt, sitzen wir drinnen an einem währschaften Fondue mit Brot und Gschwellten zum tauchen. Wir stellen uns die Riesenkochtöpfe vor, die es benötigt um Fondue für uns und die sicher hundterköpfige Studentengruppe zuzubereiten. Weil ich Willi letzten Freitag nicht mehr erreichen konnte, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren, will ich ihm eine Karte schreiben. Hans Mory hat ja die Familie Biel gekannt durch seine erste Frau und ich will ihn fragen ob er auch unterschreiben würde. Dabei stellt sich heraus, dass Hans und Annigna Willis auch kennen, Bea Mory auch. So erhält Willi eine Karte von der Gemmi mit 5 Unterschriften!

Freitag, 14. Juli

Vom gestrigen Gewitter ist der Boden noch recht nass und glitschig, bis die Sonne langsam wieder alles aufzutrocknen beginnt. Sogar mit meinem Unterhemd, das ich heute morgen ausgewaschen und hinten an meinem Rucksack zum trocknen aufgehängt habe, wird sie bis zum Stundenhalt auf der roten Chumme fertig.
Unser Weg führt uns zuerst dem Daubensee entlang, welcher auch einen ziemlich hohen Wasserstand hat. Manchmal ist sogar der Wanderweg überflutet. Am steilen Ufer führt der Weg auch über Schnee und einen grässlichen Moment lang stelle ich mir vor, was ein Ausrutscher mit dem schweren Pack am Rücken für fatale Folgen haben könnte. Wahrscheinlich wäre ich nicht in der Lage den Verschluss am Bauchgurt noch rechtzeitig öffnen zu können und der Rucksack würde einem in die eisige Tiefe ziehen! Ein ganz bisschen erleichtert lasse ich den eigentlich schönen See hinter mir. Vor uns schlängelt sich wieder ein recht steiler Aufstieg auf die rote Chumme. Aber heute gelingt mir der Rhythmus zusammen mit Schritt und Atem einfach nicht recht und oben habe ich das Gefühl, ich könnte mit Leichtigkeit auf meine Zunge treten. Und trotzdem überrascht es immer wieder, wie schnell man sich wieder erholt hat und voll Freude und Lust nimmt man wieder ein steiles Schneefeld in Angriff.

wieder beim Schneestampfen

Absteigenderweise diesmal. „So jetzt mal alle mir nach!“ und Hans sticht einige Meter dem Hang entlang in die weisse Fläche. „Und jetzt schauen wir alle talwärts und jeder macht seine eigene Spur“. Juhui! Weniger Juhui für Vreni und Heidi. Wenn nur der blöde Rucksack nicht wäre! Kurz entschlossen wird er auf den Schnee gelegt und er segelt Rücken nach oben zu Tal. Und wenn’s schon so schön rutscht, warum nicht auch auf dem Hosenboden. Unten fangen wir Euch schon auf! Nochmals Abenteuer mit Aufstieg und Abrutsch auf und vom Chindbettipass und zusehen, dass wir vor dem Regen das Berghaus Bertschi auf der Engstligenalp erreichen.
Dort lässt sich nun den ganzen Nachmittag schön ausruhen, geniessen, spielen oder auch nur schlafen. Viel Platz ist hier im Lager, im Keller kann man die Schuhe hinstellen zum Trocknen und duschen kann man…
Die morgige Tour wird auch nochmals durchgesprochen. Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass sich eine Gruppe ein bisschen vor dem mehr als tausend metrigen Abstieg scheut und lieber über Adelboden abschliessen möchte, als über den vorgesehenen Ammertenpass. Auch wäre es schade, wenn sich die Gruppe jetzt zum Schluss noch teilen würde und so können sich im Lauf des Abends eigentlich alle für die Variante über Adelboden und dann Richtung Hahnenmoospass erwärmen.
Während des Nachtessens wird von Künstlerhand für die beiden Initianten-Ehepaare ein Gutschein für ein gemeinsames Nachtessen ausgestellt: Wo? Das Bilderrätsel zeigt vier Wanderer in einer mächtigen Badewanne welche auf eine Burg schauen. – ? – Wir wissen zwar schon, Hans, dass Du Mühe hast, etwas anzunehmen, aber als kleine Anerkennung für die Organisation – und irgendjemandem möchte man einfach Dank aussprechen können für die ganz tollen Ferien.
Heute klingt der Abend wieder aus mit Quodlibet und ‘Wenn alle Brünnlein fliessen’.

Samstag, 15. Juli

Aufbruch von unserem letzten Lager, aber auch Abschied von Liselotte, die nun doch hier abbrechen will. Wir andern machen uns auf den Weg, der uns fast unter den Engstligen-Fällen hindurch führt. Jedenfalls bleibt keiner lange stehen auf der Brücke, denn so lieblich stäubt er nun doch wieder nicht, der reine Strahl, der von der hohen steilen Felswand strömt, wie Herr Goethe sagte. Das Wandern durch taufrischen Morgenwald, mit dem Gesang der verschiedenen Vogelstimmen, ist Balsam für die Seele. Aber nicht nur um mich her ist ein Singen, auch in mir drin ist ein gutes und positives Gefühl. Ich meine, ich spüre mich selber und im Moment liebe ich meine Wirklichkeit, wie es im letzten Vers des Gedichtes heisst, welches ‘schuld‘ war, dass ich diese Wanderung mitmachen durfte.
Zielstrebig umwandern wir das Höchsthorn bis wir uns in Bergläger nochmals der Gondelbahn bedienen, die uns auf Silleren (1978 m) bringt. Während dieser letzten Marschstunde Richtung Hahnenmoospass will es nun Petrus wissen, ob wir auch alle den Regenschutz mithaben. Aber er will uns wirklich nur testen, denn nach fünf Minuten scheint schon wieder die Sonne und man kann dieses Schwitzzeug wieder ausziehen. Nach dem Mittagessen im freundlichen Bergrestaurant auf dem Pass, geht’s nun noch zwanzig Minuten durch blühende Alpwiesen, um sich von den herrlichen Blumen zu verabschieden. Auf dem Büelberg nimmt uns der Bus auf, der uns die Kniearbeit von 600 Metern Höhendifferenz abnimmt und uns in der Lenk beim Bahnhof absetzt. In rückwärtiger Reihenfolge wie letzten Samstag begrüsst wurde, wird nun Abschied genommen. Jedes wieder in seine Richtung nach Hause und wenn jedes in seinem Herzen so glücklich und dankbar ist für die schönen Ferien wie ich, ist dies sicher ein Grund für nächstes Jahr wieder so etwas zu realisieren.

v.l.n.r stehend:        Rita Graber Biel, Vreni Schnebli, Christiane Gebhardt, Hans Mory, Bea Mory,
Annigna Sutter, Margrit Kohler, Peter Leu, Doris Sitek
kauernd:                 Monique Schick, Karl Füger, Lotty Hermann, Heidi Buchwalder
liegend:                   Hanspeter Schick, Hans Sutter

Die besondere Geschichte, die mich zu dieser Wanderwoche gebracht hat, möchte ich noch schnell erklären:

Der Ordner mit allen Beileidskarten und Kondolationschreiben kam mir in die Hände und ich las darin unter anderem das Gedicht nochmals, welches mir Hans Sutter, mein ehemaliger Chef bei Haefely geschrieben hatte. Der Vers, „Mut haben, den Weg weiterzugehen“ sprach mich ausserordentlich stark an, weil ich mich eben gerade damit sehr auseinander setzte. Ich fühlte mich manchmal wie ein Kind, das ‘täubelet’ und einfach nicht diesen Weg mitgehen will, den es die Mutter an der Hand führen will.
Da kam mir auch in den Sinn, dass Herr Sutter noch diesen Sommer pensioniert werden sollte, und deshalb schob ich es nicht auf und besuchte gerade zur Znünipause wieder einmal die ehemaligen Bürokollegen. Der Abschiedsapero per Ende Juli lag also in Reichweite und eben die diesjährige Wanderung war auch schon ausgearbeitet. Die Einladung, ob ich auch mitkommen wolle, reizte mich eigentlich schon sehr. Ich realisierte, dass ich mit meiner Zusage den ersten bewussten Schritt tat, auf dem Weg weiterzugehen.
Hier das ganze Gedicht:

Mut haben, das Unüberwindliche anzugehen
Mut haben, die Angst auszusprechen
Mut haben, den Weg weiterzugehen
Mut haben, die Wirklichkeit zu erkennen

Wage es –
Du überwindest
die Angst
vor dem Weg
Deine Wirklichkeit
lieben zu lernen
!