17.03.19
Heute geht‘s nun den Bach ab. Ab 15 Uhr kann man einchecken und um 16 Uhr ist Leinen los, nach Programm jedenfalls. Bei der zweitletzten Tramstation beginnen die ersten Regentropfen die Scheiben zu zieren und wir hoffen nun nur, dass wir bald mit unserem Gepäck am Trockenen sein werden. Das Terminal, wo die Edelweiss uns an Bord nehmen sollte, ist aber ziemlich verwaist. Kein Schiff weit und breit, dafür stehen drei Cars bereit, die auf uns warten. Der Rhein führt doch ziemlich viel Wasser und die Regenfälle haben schon wieder dafür gesorgt, dass die Schifffahrt bei den Schleusen massiv behindert wurde. Die Edelweiss hatte soviel Verspätung, dass sie erst morgen früh hätte in Basel sein können und so hat der Kapitän beschlossen, in Breisach anzulegen und die letzten drei Schleusen zu sparen.
Beim Anleger St. Johann steht auch so ein Basiliskenbrünnli, wie sie es im Senior-Forum gerade dieser Tage vorgestellt haben. Der Basilisk scheint ziemlich aufgeregt und verspeit sein Wasser im Wind über den Rand hinaus in alle Richtungen. Dieser hier wendet dem Rhein nicht seinen Rücken zu und ich muss gerade ein Foto haben von diesem fauchenden Drachen. Die schwarzen Wolken, welche über den Gempen und Basel heranziehen, vermitteln jedenfalls nicht gerade Ferienstimmung.
Die drei G(r)ümpel-Busse führen uns nun durch ein verregnetes Elsass bis nach Breisach und wir haben damit die ersten vier Schleusen gespart. Im uns von unserer letzten Schiffsreise Rhein – Main bis Würzburg vertrauten Hotelschiff Edelweiss können wir wieder die gleiche Kabine Nr. 301 beziehen.
Der Abend bricht herein und wir sind an Bord bald mit Abendessen beschäftigt. Wir sind an einem Vierertisch eingeteilt, zusammen mit Silvia und Rico, einem angenehmen Ehepaar aus Zürich.
Die Edelweiss hat inzwischen Fahrt aufgenommen, aber bis wir zu der ersten Schleuse kommen, ist es bereits dunkel.
Unsere Kabine ist sehr angenehm, ein Doppelbett, welches wenigstens nicht auseinander rutscht, zwei grosse Kästen, einen Kühlschrank oder Minibar? ich habe dort nie reingeschaut, einen Safe und eine kleine, aber sehr gut eingerichtete Dusche wo fast alles Platz hat. René packt ausser seinem Laptop nichts aus und hat so auch kein Problem, einen leeren Koffer herumstehen zu haben. Meine Röllelitasche hat gut Platz im Kasten neben den aufgehängten Hosen und der Windjacke.
18.03.19
Da hat man Ferien und schon beginnt der Stress. Schon um halb neun geht’s los. Das Audiogerät mitnehmen und dann herausfinden, welche der drei Führerinnen zu meinem Gerät passt: Kanal fünf eingeschaltet lassen und nur die Lautstärke variieren. Das eigene Hörgerät herausnehmen, dann geht’s besser.
Die Altstadt ist doch noch relativ weit entfernt von der Anlegestelle und mit einem Bus zuerst eine Stadtrundfahrt zu machen bringt‘s schon. Schon nach einer kurzen Strecke werden wir stolz auf die neueste Sehenswürdigkeit aufmerksam gemacht. Die Russisch orthodoxe Kirche fast wie vom Zuckerbäcker mit ihren hellblauen Dächern und goldenen Kuppeln ist erst ein Jahr alt.
Strassburg ist die Stadt der Störche. Da gibt es eigens einen Storchenpark. Da aber dort wohl schon alle Bäume als Nistplätze besetzt sind, werden auch die Alleebäume an den angrenzenden Strassen benutzt. Besetzte Storchennester auf jeder Platane!
Am Europäischen Quartier vorbeizufahren und Europarat und Europaparlament oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ihren eindrücklichen modernen Glaspalästen mit den 47 im Regen flatternden Fahnen, muss man doch gesehen haben.
Bei der gedeckten Brücke, von welcher nur noch der Name auf ein Dach hinweist, geht’s zu Fuss weiter, mit den genauen Angaben, wann die beiden Shuttels wieder zum Anleger zurückfahren. Unser Schlendern durch die historische Altstadt und das bezaubernde Viertel la petite France mit seinen uralten Fachwerkhäusern, wird mit Regengüssen begleitet, so dass man gerne in der Kathedrale ein bisschen am Trockenen Zuflucht sucht. Man staunt über die reiche Ausstattung dieser Kirche, aber am meisten interessiert uns die astronomische Uhr, die René ja das letzte Mal an einer Führung hier verpasst hatte. Vor 180 Jahren wurde sie gebaut und man kann heute immer noch so viele verschiedene Informationen ablesen.
Mondaufgang und Untergang sind nur kleine Details. Die Uhr stellt ein ganzes Planetarium dar, wie die Erde mit Mond und anderen Planeten die Sonne umkreist und wie wir im Tierkreis stehen. Das Datum kann man ablesen, den Wochentag und wie jetzt zum vollen Stundenschlag um zehn Uhr sehen, wie diverse Figuren in Bewegung kommen. Dabei ist halb elf Uhr, was die Zeiger auch anzeigen, aber der Stundenschlag bezieht sich auf die Sonnenzeit, oder Ortszeit oder Zonenzeit oder gar Greenwich time? Da habe ich den Durchblick nun nicht mehr.
Wir schliessen uns der Führerin an, welche für den ersten Shuttle zum Parkplatz zurückgeht. Wir brauchen nämlich wieder den Schirm und so macht Schlendern in dieser zwar wunderschönen Stadt keinen Spass.
Auf dem Weg aus den Zubringerkanälen in Strassburg hinaus auf den Rhein, kommen wir nochmals an der himmelblauen Kirche vorbei, welche ich nun von der Wasserseite her auf den Chip bringen will, bevor wir uns zum Mittagessen begeben.
Das Wetter mausert sich und bald können wir wieder unter blauem Himmel auf dem immer breiter werdenden Fluss dahingleiten, auf welchem doch reger Schiffsverkehr herrscht.
Am späteren Nachmittag erreichen wir die Schleuse Iffezheim, die letzte im Oberrhein und die erste, bei welcher wir nun beim Manöver noch unsere Neugier stillen können. Eben verlässt ein gehobenes Hotelschiff die Schleuse und hinterher gerade auch noch ein Frachter. Die Schleuse ist gross, 270 Meter lang und 24 Meter breit. Wir fahren ein und der Kapitän hält sich ganz an die rechte Mauer, so nah, dass man für das Tau fürchten muss, welches um den schwimmenden Poller gelegt worden ist. Kein Wunder, es fährt nochmals ein Frachter ein, und der ist bestimmt auch so lang wie wir und der muss neben uns auch noch Platz haben. 24 Meter breit ist die Schleuse und wir sind 11.45 m. Viel Platz bleibt also zwischen uns und dem Tanker nicht. Alles verläuft reibungslos und 20 Minuten später öffnet sich das untere Schleusentor bereits wieder und unsere Fahrt geht auf einem 12 Meter tieferen Niveau des Rheins weiter. Allerdings kann ich fast nicht zuschauen, wie ein Matrose am Schluss doch zwischen der nassen Wand und dem Schiff auf den kleinen Sims hinunter steigen muss, weil sich das Tau am Poller verheddert hat. Zum Glück ist der ein magerer Kerl.
Bald ist es nun aber wieder vorbei mit blauem Himmel und eine Regenwand begleitet uns ein gutes Stück des Weges. Die Sonne durchleuchtet die dunkle Regenwolke und bald verwandelt sich der nasse Regenvorhang in ein gleissendes Licht und es wird uns ein spektakuläres Schauspiel einer untergehenden Sonne geboten, welche gross und golden hinter der scherenschnittartigen Kulisse der noch blätterlosen Uferbäume versinkt.
19.03.19
Während der Nacht sind wir nun ein gutes Stück weiter den Bach hinunter gekommen. Es war nota bene das schönste oder malerischste Stück des Rheins. Von Mainz und Rüdesheim, der Loreley oder all den vielen Burgen und Schlössern oder Rebgebieten haben wir nichts gesehen. Das sparen wir uns für den Heimweg. Während des Frühstücks zieht draussen in umnebelter Höhe gerade die Festung Ehrenbreitstein vorbei, welche wir dann auf dem Retourweg mit einer Führung besuchen werden.
Man erzählt uns von einem Gerumpel letzte Nacht und Eskapaden des Kapitäns, wie er in einen ruhigen Nebenarm gefahren sei und es etwa eine Stunde gedauert habe, bis man wieder weiter fuhr. Ich habe nichts gehört und auch René hat geschlafen. Um zehn Uhr hatten wir wohl unsern Tiefschlaf, denn wir waren um neun Uhr schon im Bett. Nach dem Frühstück gibt der Kapitän dann aber eine Orientierung über den Vorfall. Eigentlich sei es eine Panne wie ein Platten an einem Auto. Das Hochwasser bringt natürlich auch viel Holz mit und nun ist anscheinend ein ganzer Baumstamm in die Schraube geraten und hat zwei Propeller in Mitleidenschaft gezogen. Das hat ein Taucher gestern Nacht dort festgestellt. Fazit: bachab können wir zwar trotzdem weiterfahren, das Schiff muss aber in Dordrecht in die Werft und alle Passagiere müssen dann von Bord sein. Man rotiert also wieder, wie wir das ja auf der Edelweiss schon mal erlebt haben und man muss für alle Passagiere einen ganztätigen Ausflug plus ein auswärtiges Mittagessen organisieren. Unsere regulären Ausflüge, die wir gebucht haben, werden uns sogar rückerstattet.
Das Wetter wird im Lauf des Vormittags immerhin etwas freundlicher, aber um auf dem Sonnendeck zu verweilen ist es viel zu kalt. Die Nebel verziehen sich zwar und auf den Hügelzügen, welche den Rhein auf beiden Seiten nun begleiten, sitzen immer wieder Burgen und Schlösser, die das Treiben auf dem Wasser zu ihren Füssen überwachen. Kleinere Orte stellen ihre schönsten Fassaden ganz dem Wasser entlang in Reih und Glied zur Schau. Grössere Städte hingegen nimmt man vom Schiff aus fast gar nicht wahr, weil das Gebiet, wie hier in Bonn wieder ziemlich eben ist und man eher das Industriegebiet oder die Kühltürme der Kraftwerke ans Rheinufer verbannt hat.
Um zwei Uhr sind wir bereits in Köln, wo wir anlegen und von Fremdenführern zu einem Stadtrundgang abgeholt werden.
Eine grosse Brücke verbindet beide Stadtteile, welche hier direkt ans Rheinufer gebaut sind. Um die Altstadt mit ihrem Dom unsicher zu machen, brauchen wir diesmal keinen Bus. In ein paar Minuten sind wir schon beim Dom.
Es ist eindrücklich, wie der Bau dieser Kathedrale die Verwüstungen des Krieges eigentlich fast glimpflich überstanden hat. Es seien mehrere Bomben eingeschlagen aber dank der vielen und grossen Fenster verpuffte ihre Gewalt. Die Vision der Erbauer war, den Gläubigen, welche Glasfenster gar nicht kannten, mit all dem bunten durchscheinenden Glas das Gefühl zu vermitteln, sie befänden sich wahrlich im himmlischen Jerusalem. Neunzig Prozent der Stadt wurde im Krieg zerstört, aber die Türme und die tragende Struktur des Doms überlebte. Unsere Führerin bringt uns die Geschichte dieses Baus, der gute 600 Jahre gedauert hatte, bis er 1880 endlich fertig wurde, recht anschaulich herüber, aber im Dom darf sie uns nicht begleiten, da herrschen wohl andere Konkurrenzen. Man räumt uns aber 10 Minuten ein, in denen wir uns auf eigene Faust umsehen können. René ist nirgends mehr sichtbar, er hat wohl unterwegs einen Computerladen gefunden, wie er vorgängig angekündigt hat.
Gerne würde ich diese zehn Minuten ausnutzen, um auch vom Interieur dieses Doms einen Eindruck zu bekommen, aber es scheint so verflixt wie in einem Einkaufszentrum zu sein, wo mich mit Garantie mein Ladensyndrom in den ersten Minuten zum Abbruch eines Besuchs zwingt und ich nach einem stillen Örtchen Ausschau halten muss. Mit rumorendem Bauch rase ich am Gerokreuz, dem ältesten erhaltenen Grosskruzifix, auf das Claudia noch draussen hingewiesen hat, all den Altären, Reliquien- und anderen Schreinen vorbei und ungeachtet all der schönen, bunten Fenster, auf der andern Seite der Kirchenbänke wieder zurück ins Freie. Sie hat doch dort noch erklärt, wo ein WC sei, aber dort ist nur ein Restaurant. Irgendwo taucht Claudia nun doch auf und beschreibt mir den Weg. Sie würde aber mit der Gruppe in der Zwischenzeit auf der andern Seite der Kirche weitergehen bis zum Römischen Museum. Meine Unterbauchnerven scheinen da glaub auch noch was gegen monumentale Kirchen zu haben, nicht nur gegen Konsumtempel. Es ist wirklich in diesem Restaurant, wo man das WC benützen darf und erleichtert gehe ich nun auf die Suche der Gruppe. Dank dem Knopf im Ohr ist das nun überhaupt kein Problem und ich kann schon von weitem mitverfolgen, was sie dort über das fast zweitausend Jahre alte Römische Mosaik erzählt, das man im Krieg beim Bau eines Luftschutzbunkers entdeckt hatte.
Nachdenklich stimmt auch die Tatsache, dass es eigentlich keine Altstadt gibt. In den Strassen, durch die wir kommen, ist einzig ein altes Zunfthaus wieder aufgebaut worden und zwölf Kirchen. Bei denen ist aber genau zu sehen, welche Grundmauern noch gestanden haben und was davon alles wieder neu aufgebaut werden musste.
Bei Kaffee und Kuchen können wir uns nun wieder weiter schaukeln lassen und nach dem Nachtessen geniesse ich das sanfte Gleiten auf dem Wasser hinein in die Dunkelheit. Um neun Uhr sind wir auch heute bereits wieder im Bett.
20.03.19
Ein riesiger Knall und ich bin aus dem Bett. Ob ich aus dem Bett gefallen bin oder selbst so schnell reagiert habe, kann ich nicht mehr sagen. Nur ein Gedanke – anziehen! Ein einziger Blick aus dem Fenster. Dort steht ein riesiger Lastkahn ziemlich im rechten Winkel mit der Schnauze gegen den Bug unseres Schiffes. Wo sind meine Kleider? Abermals werden wir durchgeschüttelt, diesmals zwar nicht so stark. In der Kabine herrscht ein kleineres Chaos. Die Türen der Kasten stehen offen, die Schubladen sind zum Teil herausgefallen und der Kühlschrank liegt auf seiner Tür vor meinem Bett. Die Tablare, wo ich meine Kleider versorgt habe, liegen nach hinten aufeinander zusammengekracht, aber ich kann mir Jeans und einen Pullover grabschen. Nun geht auch noch das Licht aus. René hatte eine Taschenlampe auf dem Nachttisch. Meine Stirn-Taschenlampe habe ich im Beutel bei den Ladegeräten und –Kabeln. Ganz dunkel ist es nicht und mit einer gewissen Erleichterung konstatiere ich, dass wir uns in einer Stadt oder grösseren Ortschaft befinden müssen, denn von draussen scheint oranges Licht von Strassenlaternen herein. Die Vorhänge haben wir nie gezogen, weil wir am Morgen gerne den Tag erwachen sehen. Nun geht die Sirene los und über den Lautsprecher tönt die Stimme des Kapitäns. Wir sollen ruhig bleiben, uns warm anziehen und uns aufs Sonnendeck begeben. Meine Schuhe habe ich nun auch gefunden und ich bin immer noch am Beobachten, ob der Boden sich nicht zu neigen beginnt. Den Bauchkiosk, allerdings nur mit dem kleinen Portemonnaie drin, welches wenigstens meine ID und ein paar Euro enthält und das Rucksäcklein, das ich mit der Kamera auf die Ausflüge mitnehme, habe ich gefunden und im letzten Moment denke ich auch noch an meine Brille. Das Hörgerät habe ich ausnahmsweise gestern nach dem Ausflug gar nicht wieder angezogen, es ist in seinem Etui immer noch im Rucksack. Auch das Handy kommt dazu und nun raus!
Unsere Kabine ist im obersten dritten Gang, gerade zuvorderst, wo die Treppe hinauf aufs Sonnendeck geht. Wie es im Sicherheitsvideo gezeigt wurde, steht dort im Schein einer Akku-Lampe jemand, der uns winkt und den Weg nach oben weist.
Dort finden wir schnell die Gruppe vom Gang 3. Alle dreihunderter Kabinennummern versammeln sich um den Mann, der ruhig dort steht und nur das Schild mit der Zahl 300 hochhält. Schnell ist ein anderer Mann bei mir und legt mir die Schwimmweste über den Kopf. „Ist nur sicherheitshalber!“ meint er beruhigend und lässt sich auch zu keiner Hast oder Eile hinreissen. Er legt den Gurt um den Rücken und fädelt ihn sogar in die dafür vorgesehene Öse ein, bevor er die Schnalle schliesst. Nicht so, wie sie es auf dem Video demonstriert haben. Über dieses Detail hatten wir uns nämlich noch unterhalten. Es ist ein sperriges Ding aus Styropor, nicht mit Luft gefüllt. Das Schiff hat keine Schräglage und langsam weicht auch die Angst. Es ist vier Uhr morgens und noch ziemlich kalt, jemand sagt etwas von vier Grad. Wir stehen unter einer Eisenbahnbrücke und zwar komischerweise gegen den Strom. Es muss das ganze Schiff um 180 Grad herumgewirbelt haben. Ein Feuerwehrboot ist längsseits gekommen und im Scheinwerferlicht sieht man vorn im Schiff Rauch aufsteigen, der aber nicht so gefährlich aussieht und auch schnell wieder verschwunden ist. Nun wird Appell gemacht. Nach Kabinen-Nummer werden die Namen aufgerufen. Die Reiseleiterin merkt bald, dass sie die Namen offenbar nicht immer richtig ausspricht und ruft schnell nur noch Zimmernummer und Vorname in die Runde und sie besteht darauf, dass jeder persönlich für sich selber antwortet. Jemand zündet ihr mit der Taschenlampe auf ihre Liste und sie schreit sich fast die Seele aus dem Leib. Nachdem auch mein Name lange nach René endlich aufgerufen worden ist, denn die Liste ist dem Alphabet nach sortiert, kann Monja bald erleichtert: „Gang drei vollzählig“ weitergeben. Die Frau mit dem Sauerstoffgerät, welches sie mit ihrem Rollator bei sich haben muss, ist auch da.
Eine Frau mit einer riesigen Beule über der Augenbraue, wird erst mal mit einem Pflaster versorgt. Sonst sehe ich niemanden der verletzt ist. Ich sehe zwei unserer Kellner, welche sich gestern Abend noch auf den heutigen freien Tag gefreut haben, weil wir ja alle auf den Ausflug hätten gehen sollen, weil das Schiff in der Werft neue Schrauben bekommen sollte. Für die ganze Crew wird der heutige Tag nun wohl einiges Anderes bringen. Bei einem von ihnen fällt mir sein Gesichtsausdruck auf und in seinen Augen meine ich blanke Angst zu sehen. Ich bin gerade über mich selber überrascht, denn bisher habe ich noch nie irgendwelche Emotionen aus einem Gesicht lesen können.
Nun bringt man Deckbetten von unten herauf, in welche man sich etwas einwickeln kann. Ich habe warm genug, gut hat der Kapitän das vom warm anziehen gesagt. Einzig mein Mund ist noch so trocken, dass die Zunge am Gaumen kleben bleibt. Zu allem Überfluss beginnen andere Nerven zu spielen. Ich sollte aufs WC. Man sagt ja, Angst macht die Hosen voll. Im Gang, wo die Treppe aufs Sonnendeck geht, hat es eine Toilette, aber niemand darf hinunter. Es ist wieder fast wie gestern, als ich im Kölner Dom statt all seine reiche Ausstattung von innen zu besichtigen, draussen eine Toilette suchen musste. Also versuche ich mit einem Taschentuch zu stopfen und sitze dann drauf. Immerhin wäre die Hosen voll weit weniger schlimm als ins Wasser zu müssen.
Jetzt verteilen sie Wasser und man sagt uns, dass wir abgeholt und irgendwo in ein Hotel gebracht würden. Auch auf die Toilette darf man jetzt, aber nur in Begleitung, denn unten ist alles dunkel. Natürlich funktioniert auch die Spülung nicht und es ist nur zu hoffen, dass es nicht noch vielen so ergangen ist wie mir. Aber ich bin sowas von erleichtert, im wahrsten Sinne des Wortes.
Nun kommt ein anderes Boot und bindet unten beim Feuerwehrschiff an und die erste Gruppe wird evakuiert. Die nächste Gruppe kann sich bereit machen und geht hinunter zur Rezeption. Alle sind ruhig und geordnet folgt man den Helfern. Immerhin ist wahrscheinlich jetzt ein Notaggregat gestartet worden, denn das Licht scheint wieder von den Deckenlampen. Chaos herrscht auch hier. Hinter der Glastür der Boutique sind die begehrlichen Sachen wild durcheinandergeworfen zum Teil am Boden verstreut. Die Tafel mit den Landgangkarten liegt zerbrochen am Boden und ihre Karten, die man immer beim Verlassen des Schiffs mitnehmen und beim Heimkommen zur Kontrolle wieder ans seinen Platz hängen musste, liegen über den Boden verstreut. Auch was man sonst nur auf dem Sicherheitsvideo sieht, hat geklappt. Die Feuertüre in Richtung Küche, wo es gebrannt haben muss, ist geschlossen. Dort war immer ein offener Durchgang.
Nun sind auch wir dran, über das Feuerwehrboot hinüber ins zweite Boot zu klettern. Überall helfende Hände und bald geht die Fahrt hinüber ans feste Ufer los und erinnert mich stark an jene Überfahrt bei Nacht im Schlauchboot nach Matamanoa.
In einem Magazin, ein bisschen an der Wärme, können wir nun einmal unsere Rettungswesten ausziehen und auf einen Bus warten, der uns weiterbringen soll. Jetzt sehe ich zum ersten Mal, dass wir auch ein Kleinkind an Bord haben. Sie ist wohl noch keine zwei Jahre und schläft friedlich bei Mami auf dem Bauch, die dort auf einem leeren Palet und wenigstens nicht auf den Boden einen Platz gefunden hat. Ausser der Frau mit dem Sauerstoff, haben wir auch einen älteren Herrn im Rollstuhl und noch zwei, drei Handicapierte, welche mit Krücken unterwegs sind, für sie bestimmt heute auch eine spezielle Herausforderung.
Aber auch hier können wir schon bald weiter. Wir müssen keine Stunde warten bis uns ein Stadtbus kurz nach halb sieben in Nijmegen im Rathaus in einem grossen Aufenthaltsraum absetzen kann. Sie haben Kaffee und Tee bereit und bald haben flinke Hände auch Schinken und Käsesandwiches gemacht.
Was da nun schon für ein Räderwerk in Betrieb gesetzt wurde. Krisenstab bei Thurgau Travel in der Schweiz und der Bürgermeister persönlich erscheint, um uns seine Gastfreundschaft anzubieten und uns zu beruhigen. Monja kann uns bereits das weitere Vorgehen unterbreiten. Wir können wählen, hier die Reise abzubrechen und nach Hause zu fliegen, oder mit einem andern luxuriösen Schiff, der MS Oscar Wilde unsere Ferien wie geplant fortzusetzen. Da scheinen wir ja doch noch Glück im Unglück gehabt zu haben, dass ein Schiff die freie Kapazität hat und auch noch hier in der Nähe erreichbar ist und uns Schiffbrüchige alle übernehmen kann. Also wir lassen uns nicht unterkriegen und machen weiter. Es sind nur zehn, die vom Angebot des Heimflugs Gebrauch machen. Zwei davon sind das Ehepaar Silvia und Rico aus Zürich, welche beim Essen an unserem Vierertisch sassen.
Das habe ich noch halb vermutet, dass man daheim bald mehr weiss von unserem Unglück als wir selber. Man hat auf einer Flipchart das Passwort fürs W-LAN angeschrieben und bereits kommen die ersten mit Bildern auf ihren Handys, die sie von 20 Minuten haben. Wir hätten auf der Waal in Nijmegen ein Frachtschiff gerammt und ein Bild zeigt uns das hässliche Loch in der Edelweiss, das vorn am Bug auf unserer Kabinenseite glücklicherweise über der Wasserlinie ist. Es hat die Küche in Mitleidenschaft gezogen und dort ist ein kleiner Brand entstanden, welcher wohl auch für den Stromausfall verantwortlich war.
Es ist eine Verkettung von glücklichen und unglücklichen Ereignissen, von denen wir nun direkt profitieren können. Weil man wegen des Baumstamms heute das Schiff in die Werft bringen müsste und für alle Passagiere ein ganzer Tag Ausflug und ein Mittagessen auswärts organisiert werden musste, ist für den heutigen Tag eigentlich schon alles vororganisiert. Man muss nun einzig die Cars anstatt nach Dordrecht, nach Nijmegen beordern und es wird elf Uhr werden, bis sie da sind.
Vorerst müssen wir nun aber noch das Einverständnis geben, dass man uns unsere Sachen in der Kabine packt und dann alles auf die Oscar Wilde bringt. Für solche Notfälle hat der Kapitän einen Generalcode, um auch die Safes öffnen zu können, deren Inhalt man dann an der Rezeption wieder abholen kann. Im ersten Moment gibt es aber Leute, welche ihre Sachen selber packen möchten, aber am Schluss heisst es dann doch, dass niemand zurück aufs Schiff darf. Man kann aber melden, wenn man dringend Sachen, wie wichtige Medikamente benötigt, welche dann aus der entsprechenden Kabine geholt werden.
Auf dem Weg zur Toilette muss ich von dem grossen Bild im Foyer ein Foto haben. Wie ein Mosaik ist es aus lauter bunten Knöpfen zusammengefügt und zeigt die Waalbrücke und die Stephanskirche.
Es ist nicht, wie ich zuerst gemeint habe, die denkwürdige Eisenbahnbrücke, unter welcher wir gestrandet sind und weil wir sie gerammt haben, die Züge darauf für drei Stunden nicht mehr fahren durften, bis die Sicherheit der Pfeiler geklärt war.
Nijmegen ist die erste grössere Stadt nach der Deutsch/Holländischen Grenze und nun haben wir sogar auch noch eine kleine Rundfahrt durch eine ganz reizende Stadt, welche wir nicht gesehen hätten und die fast ein bisschen den Wunsch weckt, sie mal unter besseren Umständen näher kennen zu lernen. Gehört hat man schon vom viertägigen Nijmegenmarsch, der alljährlich im Juli hier beginnt.
Es ist zwar ein trüber Morgen, durch welchen wir mit unseren drei Bussen durch die weiten Ebenen Hollands nach Dordrecht fahren. Das viele Wasser, das den Rhein hinunterkam, hat viele der verzweigten Mündungsarme des Rheins noch breiter gemacht und man sieht viele Uferbäume mit den Füssen im Wasser stehen.
Durch diese Fahrt mit dem Bus durchs Land bekommt man nun noch einen authentischeren Eindruck des Landes. Eigentlich ist unser Begriff Holland nicht korrekt, denn der stimmt nur für einen Teil der Provinzen in den Niederladen. Topfeben ist alles und wo Grün zu sehen ist, grenzen Wasserkanäle die weiten Weidewiesen ab. Vergessen scheinen einsame Gehöfte vor sich hin zu träumen. Fast auf der ganzen Strecke bis Dordrecht begleitet das Geleise der Schnellbahn die drei- bis manchmal vierspurige Autobahn. Die ebenfalls parallel verlaufenden Hochspannungsleitungen vermitteln im Gegensatz zu einsamem Schlummer den Eindruck einer hochbeschäftigten technischen Zivilisation.
Weil inzwischen nun schon Mittag geworden ist, werden die beiden geplanten Ausflüge zeitlich etwas umgestellt und wir werden zuerst nach einer kleinen Rundfahrt vorbei an Polder und Deichen durch Dordrecht, die Stadt der Schafsköpfe, wie sie sich selber nennen, zum stilvollen Hotel Van der Valk gebracht, welches problemlos mit einer so grossen Gruppe zum Mittagessen fertig wird. Fast wie im Schlaraffenland hat es da am Buffet an Schlemmereien mehr als was das Herz begehrt. Schade, denn der Appetit ist noch nicht ganz wieder da.
Anschliessend geht’s weiter, die etwa zwanzig Kilometer bis Rotterdam, zur geplanten Stadtrundfahrt. Der Eindruck, den ich von dieser Stadt mit heim nehme, ist der einer sympathischen, modernen Stadt, in welcher Wasser, Schiffe und Brücken zum Stadtbild gehören, wie spiegelnde Fassaden und fantasievolle Formen von Hochhäusern, sogar einem getüpfelten!
Da Rotterdam im Krieg fast vollständig zerstört wurde, ist die Stadt von Grund auf neu aufgebaut worden. Mir gefällt sie.
Weil jemand in unserem Bus dringend ein Medikament in der Apotheke besorgen muss, halten wir mitten im Kuchen bei der supermodernen Markthalle an, wo wir für zehn Minuten aussteigen können. Es reicht mir sogar für ein Bild von den Kubushäusern zu erhaschen. Die in Schräglage aneinandergereihten, würfelförmigen Häuser sehen exzentrisch und verrückt aus, nur konnten dann die Wohnungen nicht so gut wie geplant verkauft werden, weil man merkte, dass man praktisch keine Möbel darin stellen konnte. So hat man dann auf den weiteren Bau des ganzen Projekts verzichtet.
Ich wusste schon, warum ich mich nicht dazu hinreissen liess, den Konsumtempel zu besuchen. Einer Passagierin ist es nämlich passiert, dass sie den Ausgang nicht mehr findet und nun geht man sie suchen. Zum Glück hat ihre Begleiterin das Handy dabei und zusammen mit dem Reisebegleiter geht man ihr nun entgegen.
Es ist nun doch etwas spät geworden und bald ist hier Rushhour und wir wollen noch nach Kinderdijk mit seinen Windmühlen. Der Tag wird immer noch trüber und wir sind die letzten, die dort ankommen. Die 19 Windmühlen befinden sich auf einem Polder und gehören zum UNESCO Weltkulturerbe. Die Windmühlen hatten die Aufgabe, das Wasser der Alblasserwaard aufs Niveau der Lek und Maas hinauf zu pumpen, damit es ins Meer abfliessen konnte. Heute macht man das mit riesigen elektrischen Pumpen und das Verrückte daran ist, dass dies auf immer und ewig sein muss, sonst geht der Polder unter, weil er unter dem Meeresspiegel liegt. Wir haben nun nicht mehr soviel Zeit, um Näheres darüber im Infozentrum zu erfahren. Es sollten alle drei Busse zusammen in Nijmegen bei der Oscar Wilde eintreffen. Bis dort ist bestimmt noch eine Stunde zu fahren und es dunkelt schon bald ein.
Die Oscar Wilde ist ein schönes Schiff, Baujahr 2017 und das neuste Schiff der Reederei Scylla. Sie ist 135 Meter lang 11.4 m breit, also noch 25 Meter länger als die Edelweiss und macht auch noch einen luxuriöseren Eindruck. Sie hat auch drei Decks und alle bekommen einen Schlüssel mit der gleichen Kabinen-Nummer wie gehabt. Das ist praktisch, denn die von fremder Hand gepackten Koffer, auf deren Anhänger die Zimmernummer vermerkt ist, stehen schon bereit in den Kabinen. Man musste ja nur die andere Kabine leer räumen und bei uns mussten sie ja nur meinen Koffer packen. René hatte den seinen nicht ausgeräumt. Sein Laptop-Köfferchen stand zusammen mit anderem Handgepäck in der Lobby. Es scheint alles da zu sein, doch René vermisst seinen Schlüsselbund. Ich schaue nochmals im geleerten Koffer nach und auch in den Necessaires und wo er sonst noch sein könnte. Vielleicht haben sie ihn zu den Sachen aus dem Tresor der Rezeption gegeben. Dort bekomme ich aber nur das Portemonnaie, das im Tresor war, in einem Plastiksack. Also melde ich den Schlüsselbund als vermisst und wir begeben uns in den Salon, wo uns der Kapitän erwartet. Menno Vaasen, ein Holländer muss sich als erstes für das Schlamassel entschuldigen und er tut einem fast leid. Er ist nicht gefahren. Er fragt uns, ob wir bereit seien, ihn als unsern Kapitän auch noch für die Heimreise zu behalten. Das laute und überzeugte Echo von allen Passagieren ist gross, so dass ich einen Kapitän weinen sehe, wie er den neuen Kapitän der Oscar Wilde umarmt. Die neue Crew, welche zum grössten Teil unsere alte ist, wird uns vorgestellt. Der sympathische Hotelmanager allerdings musste auf der Edelweiss bleiben und dort für die Aufräumarbeiten schauen. Der Kapitän der Oscar Wilde Tim Gorges ist für unsere Heimreise der dritte Käpten an Bord, Flavien Taglang der Unglückskapitän, ein Franzose sei bereits nach Hause gefahren. Auch die Küchenmannschaft und die Kellner, welche die meisten aus Indonesien stammen, sind da. Man hat auch die meisten Lebensmittel von der Edelweiss retten und auf die Oscar Wilde bringen können und so kann auch dieses Programm wie geplant weitergehen.
Hier ist nun das Restaurant für alle Passagiere auf dem gleichen Deck und wir finden einen Platz an einem Sechser-Tisch zusammen mit einer Familie aus dem Luzernischen. Ewald, der Vater ist derjenige, den die Feuerwehr mitsamt seinem Rollstuhl aufs Sonnendeck tragen musste und seine Frau Anna. Zusammen mit der Tochter Manuela und dem Schwiegersohn Paul könnte man ja eine solche Schiffsreise wirklich geniessen. Aber es ist alles gut gegangen und sie lassen sich nicht unterkriegen und machen auch weiter.
Nach dem Essen suche ich nochmals alles durch und erleichtert finde ich den Schlüsselbund in der Kartonschale, wo der Plastik noch drei Äpfel zusammenhält, so wie ich sie gekauft habe und so auf den Schreibtisch gestellt hatte. Renés Fingerring aber bleibt verschollen. Er hatte beide auf dem Nachttisch und den Steinring hat er am Boden gesehen und ihn noch angezogen.
Richtig müde nach dem turbulenten Tag und ohne irgendwelche komischen Gefühle kann ich bald ganz beruhigt in unserem neuen Zimmer einschlafen, während das neue Schiff mit uns nun nach Amsterdam fährt.
21.03.19
Ich habe in der Nacht gut geschlafen und habe auch keine Albträume gehabt. Das sanfte Dahingleiten in den neuen Morgen ist mit keinerlei Angst verbunden und ich kann es geniessen. Nur leider scheint auch der neue Tag ebenso neblig und trüb zu werden wie der gestrige. Ich erwache um halb sieben und draussen verschwindet eben der ziemlich runde Mond im Dunst hinter städtischen Hochhäusern. Unser Schiff gleitet langsam einem langgezogenen Gebäude entlang. Der Bahnhof begrüsst die mit dem Schiff ankommenden Besucher mit riesigen Letter auf seinem Dach: AMSTERDAM!
Der Keukenhof steht heute Vormittag auf dem Programm und nach dem Frühstück stehen zwei Busse für den Transfer bereit. Eindringlich werden wir gewarnt, dass wir den zwischen dem Landungssteg und der Strasse liegende Veloweg mit absoluter Vorsicht überqueren sollen, denn hier in Holland haben die Velos den Vortritt. Und sie fahren wie die Henker mit ihren Fietsen. Auch Bromfiets, das sind die Mopeds und Roller oder gar ein dreirädriges Gartenhäuschen kommt da auf dem Veloweg daher. Es ist Zeit für Arbeits- und Schulbeginn und da hat’s wohl manch einer recht pressant. Da braucht es gerade den Einsatz von Rebekka, unserer Reisebegleitung, die uns sicher auf die andere Seite lotst. Sie ist selber Amsterdamerin und erzählt unterwegs wie man halt manchmal in Eile sein Velo nicht gerade gesetzeskonform deponiert und wenn man es wieder holen will, ist es abgeführt worden – ins Velogefängnis, wo man es theoretisch wieder abholen könnte… Sie zeigt uns dieses Areal, wo tausende dieser Stahlrösser meist vergeblich auf ihre Besitzer warten.
Mit dem Bus geht’s etwa eine halbe Stunde westwärts. Acht Wochen dauert die Ausstellung im Blumenpark und heute, am Frühlingsanfang ist der Eröffnungstag in diesem Jahr. Rebekka ist selber sehr neugierig und total begeistert, dass man wirklich schon gelb blühende Felder der Zwiebelzüchter sehen kann. Ich hatte schon etwas Bedenken, dass die Zeit noch nicht ganz reif wäre. Es ist schon noch früh und es blühen meist Narzissen und Krokusse und die Tulpen beginnen erst ihre Köpfe aus den Blätterachsen zu stossen.
Es gibt verschieden Pavillons, wo man die wunderbarsten Neuzüchtungen von Tulpen und Amaryllis bewundern kann. In einem sind es mehr Orchideen und die ganze Ausstellung dort steht unter dem Motto „Peace“ und „Flowerpower“ mit den verspielten Farben und Sujets aus den Sechzigern. In den weitläufigen Parks sind die Blumenbeete so in den Rasenflächen angelegt, dass man meistens eine Perspektive finden kann, wo nicht nur Besucher aufs Bild kommen, was ich sehr sympathisch finde. Schade, dass das Wetter nicht so gut mitspielt. Da fehlt halt einfach der Glanz. Das Positive daran ist, die Besucherströme halten sich dafür noch in Grenzen.
Auf der Retourfahrt kommen wir über Schiphol, dem Flughafen. Schiphol heisst eigentlich Schiffsgrab, weil viele Schiffe hier untergegangen sind. Auch heute ein verrückter Ort, denn wir fahren mit dem Bus auf der Strasse in Unterführungen unter Pisten durch, auf denen oben die Jumbos darüber rollen. Auch durch die neusten Bezirke werden wir chauffiert, wo nicht allein Glasfassaden, sondern auch die wildesten Auswüchse von Formen und Gestaltung modernster Architektur wetteifern.
Auch bei den Brücken hält dieser Trend an und bald haben solche Highlights dann ihre Übernamen, wie zum Beispiel die BH-Brücke, wegen ihrer doppelbögigen Konstruktion.
Verdichtet Bauen ist auch hier notwendig und da sieht man wahrscheinlich heimatgeschützte Bauten, über welche ein anderes, mehrfach grösseres Gebäude brückenartig darübergeklotzt wurde.
Fun muss auch sein. Gegenüber dem Bahnhof ist ein Hochhaus entstanden, zuoberst auf der 20. Etage mit Panoramarestaurant und Skybar und einer Riesen-Schaukel, mit welcher man für 5 Euro über die Kante des Hochhauses hinaus schwingen kann. Um mit dem Lift auf A’DAM Lookout hinauf zu kommen zahlt man aber zuerst 13.50. Tickets bekommt man einen Euro billiger im Internet.
Nach dem Essen auf dem Schiff gibt’s noch eine Grachtenfahrt. Diese haben wir nicht gebucht und ich möchte lieber diesen Teil der Altstadt, die zum UNESCO Weltkulturerbe gehört, noch zu Fuss etwas erkunden.
Weil wir der Gruppe nachlaufen, welche die Schifffahrt machen wollen, finden wir den Einstieg in den Grachtengürtel noch gut. Wir schlendern den Kanälen entlang, welche im Wasser beidseitig von Kähnen und Hausbooten belagert sind und wo neben einem von Gaslaternen flankierten Fahrweg all die mehr oder weniger malerischen, schmalen Giebelfassaden Schulter an Schulter stramm stehen. Jeder Giebel hat zuoberst einen Aufzug mit denen man Waren ins Haus hieven kann. Es gibt Häuser, die sind gerade etwa zwei Meter breit und da hätte man keine Chance, über irgendeine Treppe noch Möbel oder ähnliches hinauf zu buxieren.
Die Brückengeländer über die Kanäle sind verstellt mit angeschnallten Velos allüberall.
Es ist verflixt. Es scheint, dass ich bald auch kein gemütliches Schlendern mehr geniessen kann. Das zweite Schorli rächt sich, das ich am Mittag getrunken habe und es beginnt mich zu plagen, dass ich wieder dringend nach einem WC Ausschau halten muss. Ein öffentliches hinter der grossen Westerkirk lässt mich nicht rein, der Euro kommt wenigstens wieder raus und als nächstes finden wir eine uralte Knelle, wo ich halt proforma einen Kaffee bestelle und mich dafür im etwas schmuddeligen stillen Örtchen erleichtern kann. Solche Eskapaden verleiden mir langsam. Wir sehen zu, dass wir wieder „nach Hause“ kommen.
Dort ist wenigstens das Kuchenbüffet noch eröffnet und wir reissen uns noch ein süsses Stück unter den Nagel. Nur für den Kaffee dazu reicht es denen wohl nicht mehr.
Heute Nacht beginnt bereits unsere Reise stromaufwärts wieder.
22.03.19
Seit heute Nacht befinden wir uns wieder auf der Heimfahrt, das heisst, es geht auf dem Niederrhein flussaufwärts. Im Schutz der Dunkelheit, wie wir vorgestern durch die vielverzweigten Wasserstrassen nach Amsterdam gefunden haben, ging es auch heute wieder zurück und am Morgen haben wir bereits wieder Deutschland erreicht. Orientieren kann man sich zwar überhaupt nicht, man könnte geradesogut auf dem Meer sein. Ringsum nur Wasser und Nebel. Holland wird mir neblig und trüb in Erinnerung bleiben, ausser man tut etwas dagegen und kommt nochmals unter besseren Voraussetzungen hierher.
Der Rhein scheint hier, bevor sich die Waal vom Niederrhein vor Nijmegen abtrennt, immens breit zu sein. Es herrscht aber emsiger Verkehr auf seinen immer noch braunen Fluten. Fast schemenhaft ziehen draussen zusammengekoppelte Lastschiffe, manche beladen mit aufgeschütteten Kohlenbergen oder auch aufeinander getürmten Containern vorbei.
Nach dem Frühstück lichtet sich die Sicht und die Sonne wird dem Nebel Meister und man kann sogar langsam unter einem blauen Himmel endlich mal die Aussicht vom Sonnendeck geniessen. Baumreihen scheinen die Flussufer zu begrenzen, deren Füsse stehen jedoch im Wasser und dahinter geht der See weiter. Hier darf das Wasser das anscheinend noch und sich seinen Weg in Stresszeiten auch mal über den vorgeschriebenen Rand hinaus und durch die Auenwälder suchen gehen, was ihm dann auch wieder viele Wasservögel danken.
Wir sind nun im Ruhrgebiet. Industrieanlagen befinden sich direkt an den Ufern des Rheins. Das Logo von Thyssen-Krupp verrät die Stahlindustrie oder ein dampfender Kühlturm in der Nähe lenkt mit seiner Bezeichnung „Kohle“ vom AKW-Verdacht ab. Hier werden die meisten Kraftwerke mit Kohle betrieben, aber man beruhigt, dass diese ihre Kohle nur noch an Ort und Stelle abbauen, oder aber man führt billigere, ausländische Kohle aus Australien ein. Einmal begegnen wir einem Konvoi aus 6 Lastkähnen, welche zusammengekoppelt von einem Herkules, oder wie diese Pushtow heute heissen, vor sich her geschoben, oder gezogen wird. Allerdings sind es 6 leere.
Deutschlands letzte Zeche wurde im letzten Dezember geschlossen und unser Ausflugsprogramm beinhaltet einen Besuch der Zeche Zollverein, einst die grösste Steinkohlenzeche der Welt und heute UNESCO Welterbe.
Nach dem Mittagessen erreichen wir Duisburg, wo wir von zwei Busen erwartet werden.
Die Zeche wurde 1847 eröffnet und am 23. Dezember 1986 geschlossen. Die Deutsche Kohle wurde wegen des sehr sicheren Abbaus, der mit aufwändigen, technischen Hilfsmitteln möglich war, immer weniger konkurrenzfähig und aus diesem Grund wurde Ende des letzten Jahres auch die letzte noch in Betrieb gewesene Zeche geschlossen. Aber die Folgeschäden des Kohlebergbaus geben zu denken, werden doch alleine in dieser Zeche täglich 18’000 Kubikmeter Grubenwasser, das unter anderem PCB-haltig ist, mit riesigen, unter der Erde installierten Pumpanlagen aus 1’000 m hochgepumpt und dort, momentan noch, einfach in das Flüsschen Emscher gepumpt und so ungereinigt an der Oberfläche abgeführt. Für die Zukunft ist zwar geplant, diese in extra dafür angelegten Leitungen unterirdisch, aber immer noch ungereinigt, abzuführen. Diese Pumpen, von denen es im Ruhrgebiet unzählige gibt, müssen für alle Zeiten in Betrieb bleiben. Würde man mit dem Pumpen aufhören, würde ein Drittel des Ruhrgebiets unter Wasser gesetzt, weil sich viele Gebiete um 12 bis 15 m gesenkt haben und heute unter dem Pegel der Flussläufe liegen. Die sehr informative Führung gab einen anschaulichen Einblick in die Arbeit und das Leben unter Tag.
Anschliessend geht die Fahrt im Bus durch ein freundliches, von der Sonne unter einem strahlend blauen Himmel beschienen Ruhrgebiet, wie um nachzudoppeln, dass hier wirklich eine neue Zeitrechnung begonnen hat und die Geschichten der schlechtesten Luft, wo die Frauen ihre Wäsche gar nicht erst im Freien aufzuhängen brauchten, alles Ammenmärchen seien. Sogar in der Emscher spiegelt sich der Himmel und sie schlängelt sich als blaues Band durch frühlingsgrüne Ebenen.
So erreichen wir wieder Düsseldorf mit seinen Hochhäusern und sich rivalisierenden Glasfassaden, wo am Rheinanleger inzwischen auch unsere Oscar Wilde eingetroffen ist und im gleissenden Abendlicht auf uns wartet.
Ausser die Zeche zu besuchen, hatte man heute auch die Gelegenheit zu einem Ausflug über Land bis nach Düsseldorf, wo man dann auf eigene Faust wieder zum Schiff kommen musste, oder vielleicht hatte man auch noch die Gelegenheit für einen kleinen Abstecher in die Stadt, falls man auf dem Schiff geblieben ist. Die Zeit, um an Bord zu sein ist aber wie immer eine Viertelstunde vor Abfahrt, also Viertelnach fünf. Um zwanzig nach hat man aufgrund der Landgangkarten bereits festgestellt, wer noch fehlt und es werden zwei Personen über Lautsprecher ausgerufen. Für die Mutter mit ihrem kleinen Mädchen und vor allem der neuen Mitarbeiterin von Thurgau Travel, welche wohl eine Art Schnupperreise mit uns macht, scheint es spannend zu sein, von 400 Augen gespannt erwartet zu werden, um zu sehen, wer sich solches erlaubt und sogar mehr als eine Viertelstunde zu spät gemütlich einzutrudeln. Wer sonst wird vom Kapitän persönlich hereinkomplimentiert, bevor drei Minuten später die Leinen los gemacht werden….
Langsam ziehen nun die schönen Fassadenreihen der Stadt Düsseldorf vorbei und zusammen mit all der Menschenmenge unten am Kai, geniessen wir, langsam unter der imposanten Brücke durchgleitend, auf dem Sonnendeck den Abschluss eines schon fast sommerlichen Ferientages auf dem Rhein.
23.03.19
Beim Erwachen um sieben Uhr geht gerade die Sonne hinter einem kleinen bewaldeten Uferhügel auf. Das Schiff hat seine Fahrt verlangsamt und die Matrosen sind mit ihren Schwimmkragen um den Hals auf die Landung in Koblenz vorbereitet. Voraus spannen sich bereits die Tragseile der Luftseilbahn über den Rhein, mit welcher wir heute zur Besichtigung der Festung Ehrenbreitstein entschweben wollen. Zum Anlegen müssen wir aber nach rechts in die Einmündung der Mosel einfahren und langsam ziehen wir an einem imposanten Reiterstandbild vorbei. Kaiser Wilhelm der Erste sei es, der dort vom hohen Ross heruntergrüsst. Es sei der längste Kaiser, erfahren wir auf unserem Stadtrundgang später. Das Vorgängerstandbild aus Kupfer wurde im Krieg beschädigt und aus dem raren Metall wurden Kupferdrähte gezogen. Der heutige Reiter steht nach langen Debatten eigentlich erst seit etwa 25 Jahren dort auf seinem hohen Sockel, welcher peinlicherweise zuerst für zweieinhalb Millionen Euro saniert werden musste. Man hatte nicht vorher einberechnet, dass die aus Bronzeguss hergestellten Figurenelemente viel schwerer waren als ihr kupfernes Vorgängerbild.
Bunte, eng aneinandergereihte Häuser und spitzige Türme sehen unserem Anlegemanöver zu. Zum Frühstück müssen wir uns heute beeilen, denn um Viertelvor neun werden wir zu unserem Stadtrundgang abgeholt. Man konnte für diese Führung nun auch kurzfristig Audiogeräte organisieren, welche aber gemeinsam bei Monja in einem Koffer aufgeladen werden müssen. Für mich sind diese Geräte sehr wertvoll, weil ich so alles mitbekomme, was uns da unterwegs erzählt wird, auch wenn man ab und zu zum Fotografieren stehen bleibt. Die Reichweite geht meist über hundert Meter. Nur diesmal scheint die Ladung nicht gut geklappt zu haben, mein Empfang ist nicht sonderlich gut und René hat überhaupt Pech, das Seine funktioniert gar nicht.
Der Rundgang durch die Altstadt führt uns vorbei an einem Kollegen vom Basler Lällekönig, der beim Stundenschlag die Augen rollt und den Passanten auch seine Zunge rausstreckt, dem Pestloch in der Liebfrauenkirche, über den Jesuitenplatz mit seinem Lukarnen-Adventskalender auf dem Klosterdach, hinüber zum Rathaus und zum Schängelbrunnen, den man gesehen haben muss. Ein Schängel ist ein Schlingel oder einfach Lausbub oder Göre, vor dem man sich in Acht nehmen muss, denn es könnte ihm einfallen von seinem Brunnenstock aus die Leute in der Nähe anzuspeuzen. Die Koblenzer sind stolz auf ihre Schängel und als ihr letzter Bürgermeister gewählt wurde, hat man ihn als Schängel eingebürgert, weil er kein Koblenzer war. Auch auf den Dolendeckeln ist hier überall der speuzende Schängel zu sehen – ein Beitrag mehr in meiner Dolendeckelsammlung.
Soviel zur Stadt Koblenz. Weiter geht’s zur Doppelmayr Seilbahn (Schrägaufzug sagen sie dem hier) hinauf zur Festung Ehrenbreitstein. Ich glaube René täubelt. Er hat den Knopf nicht im Ohr und setzt sich so komisch offensichtlich desinteressiert immer etwas ab. Er hasst eigentlich solche Gruppenveranstaltungen wo man zu schauen hat, was einem vorgemampft wird und womöglich dort fotografieren muss, wo man darf, weil sich sonst zum Beispiel Ladenbesitzer um ihre Kundschaft sorgen. Und ich nerve mich ob seinem Verhalten und meine Laune hält Schritt mit dem Wetter – es wird immer wie nebliger und trüber und der blaue Himmel von heute früh ist verschwunden und es ist kalt geworden.
Trübe Aussicht von hier oben auch hinunter auf die Stadt Koblenz, wo die Oscar Wilde an ihrer Anlegestelle in der Mosel auf unsere Rückkehr wartet.
Von der Geschichte der alten Gemäuer bekomme ich auch nicht viel mit, ich sollte wieder mal ein WC finden. Einzig der Vogel Greif, die seinerzeit grösste Kanone Europas aus dem Jahr 1524, aus der aber angeblich noch nie geschossen worden sei, macht mir einen bestimmten Eindruck. Nicht wegen ihrer Länge von 5 Metern und ihren 9 Tonnen oder dass sie 80 kg schwere Kugeln verschiessen konnte, sondern weil sie als Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich mehrere Male hin und her gestohlen wurde. 1984 kam sie im Zuge der deutsch-französischen Aussöhnung als Dauerleihgabe auf Ehrenbreitstein als Museumsstück zurück, aber alle fünf Jahre wird von Paris aus inspiziert, ob sie noch da ist und auch genügend gut abgestaubt wird.
Auf der nun folgenden schönsten Strecke des Rheins herrsch Nebel und man sieht kaum die vielen Burgen auf den Hügeln. Auch die Rebberge sind braun und garstig. Im Salon fährt extra ein Begleiter bis nach Rüdesheim mit und erzählt alles über den Rhein in diesem Gebiet. Leider kann man diese Geschichten im Zimmer nicht hören. René hat Stacheln und schläft lieber, dass er seine Ruhe hat. Ich will etwas meine Bilder ordnen und schalte den grossen Fernseher ein mit dem Programm der Bordkamera und kann mich so etwas orientieren, wo wir sind.
Ein Weilchen setze ich mich auch in den Salon und höre der Geschichte der feindlichen Brüder zu, welche halt mit einem vom Platz her begrenzten Erbe auf einer Burg in Feindschaft zusammenleben mussten.
Dann kämen die Burg Maus und Katz, welche man aber auch vom Sonnendeck aus fast eher schemenhaft sieht. Vielleicht schafft es für mich dann der IrfanView, den Nebel etwas wegzuzaubern.
Bald kommt die Loreley und es sind nun doch etliche auch auf das Sonnendeck gekommen. Sogar aus der Bar wird allen ein Loreleydrink offeriert. So wird man natürlich noch gespannter darauf zu sehen, was es mit der Loreley auf sich hat und meint darüber Wunder was.
Entsprechend ist dann die Enttäuschung. Zum Glück bekomme ich irgendwie gerade mit, in welcher Richtung man nun schauen muss, um dort unten am Wasser auf einem Stein grau in grau eine Skulptur, etwa so wie die Meerjungfrau in Kopenhagen zu erblicken. Man kann gerade zwei nackte Frauenbeine erkennen, aber nicht wie man erwartet, dass sie ihr goldenes Haar kämmt. Überhaupt ist dies ja auch nicht die Attraktion, sondern nur die Sage. Die Loreley bezeichnet den grossen senkrecht aufragenden Schieferfelsen, welcher gerade hier in dieser engen, gefährlichen Kurve des Rheins mit seinen heimtückischen Untiefen schon vielen Schiffen zum Verhängnis geworden ist. Dieser ist dann auch unten am Wasser als Loreley bezeichnet und oben auf 132 Metern wehen drei Fahnen im Nebel. Ich hätte eher dort oben eine Sirene zu sehen erwartet, wenn überhaupt.
Es ist jetzt Zeit für Kaffee und Kuchen und das kann zum Glück nun auch René aus dem Bett locken und stimmt ihn etwas versöhnlicher.
Langsam, langsam mausert sich auch das Wetter draussen etwas, während die schönste Gegend am Rhein mit seinen Burgen, Schlössern und Rebgebieten im Nebel ebenfalls vorbeigezogen ist. Wir legen in Rüdesheim beim Kilometer 526 für einen kurzen Stopp an, bei welchem man sich des allgemeinen Grümpels entledigt und der Streckenkommentator von heute Nachmittag an Land geht, um wieder zurück nach Koblenz zu fahren. Perfiderweise scheinen sich die Nebeldünste nun langsam zu verziehen, jetzt wo der Abend hereinbricht.
So erfreuen wir uns halt beim Nachtessen am Glanz der fantasievollen und kreativen Kunst des Küchenchefs. Sie verstehen es, die Teller so dekorativ zu gestalten, dass man jedesmal gerade wieder neugierig wird auf den nächsten Gang.
Nach dem Essen ist heute das grosse Thurgau Travel Quiz mit Monja im Salon angekündigt, bei dem man einen sehr wertvollen Preis gewinnen kann. Das tönt mir nun schon sehr nach Animation, für mich schon fast wie ein rotes Tuch. Ich wette, zu Renés Stimmung passt es genauso wenig, denn es braucht keine Überredungskunst, dass wir uns nach dem Essen verdünnisieren. Auch heute sind wir um neun Uhr bereits wieder in der Heja, als es an der Kabinentür klopft. Es ist der Hotelmanagerkapitän selber, der mir mein kleines schwarzes Portemonnaie durch den Türspalt reicht. Es muss mir beim Sitzen aus dem Hosensack gerutscht sein. Dank meiner ID konnten sie eruieren, wem es gehört.
So rundet sich der Tag nun gerade in seiner eigenen Harmonie ab.
24.03.19
146 Kilometer sind wir seit gestern von Rüdesheim bis hier zum km 380 gefahren, welcher eben draussen vorbeizieht, als ich um sieben Uhr erwache und aus dem Fenster eben eine grosse rote Sonne hinter den Uferbäumen aufsteigen sehe.
Das Frühstück kann man heute in aller Ruhe geniessen. Muhsin der Kellner ist so ein Goldschatz. Kaum hat er uns erblickt, tritt er in Aktion und bis wir mit unserem Rührei mit Speck an den Tisch kommen, stehen dort zwei Kännchen Tee und an Renés Platz sogar ein Zweier Schorli. René ist bei ihm sicher der Schorlimann.
Ich muss mich gerade beim Hotelmanagerkapitän erkundigen, wer gestern mein Portemonnaie abgegeben hat, denn ich möchte ihm einen Finderlohn geben. Anscheinen sollte ich das aber nicht, denn nachdem er mir den Michael genannt hat, meint er, er habe aber nichts gesehen. Es waren 200 Euro im Portemonnaie und irgendwie mag ich die zwanzig Euro Finderlohn dem Michael gerade gönnen, denn er war es, dem ich nach dem Unfall seine Angst im Gesicht gesehen hatte.
Nachher muss man für heute nichts mehr, ausser um Viertel vor zehn an der Ausschiffungsinformation teilzunehmen. Weil wir im Klybeck anlegen, müssen für den Transfer hinüber zum Anleger St. Johann noch zwei Busse organisiert werden und damit am Schluss dann auch alle ihr Gepäck wieder haben, braucht dies gerade nochmals eine extra Organisation.
Für uns sieht der Rest des Tages jetzt stressfrei aus. René mag heute am Ausflug in die Kur- und Kunststadt Baden Baden nicht teilnehmen. Bäder- Kunst- und Festspielstadt – allein hinzugehen reizt mich dieses Thema eigentlich auch nicht. Vor allem, wenn man nach der Führung dann auf eigene Faust noch weiter wursteln kann und am Schluss dann möglicherweise den Anleger suchen gehen muss. Ausserdem haben wir heute endlich mal etwas schönes Wetter, das man auf Sonnendeck geniessen kann. Die schönste Strecke ist nun zwar vorbei und am Rheinufer sind ausser verschiedenen Kieswerken, nur immer noch leicht überschwemmte Auenlandschaften zu sehen, doch jetzt kommen die ersten Schleusen. Nachdem wir die Ausflügler beim Anleger Rastatt in Plittersdorf abgesetzt haben, wo sie nun mit dem Bus nach Baden Baden unterwegs sind, um die Kunststadt zu besichtigen, liegen wir nun bereits im Warteraum vor der Schleuse Iffezheim.
Wir staunen ob der Länge der FIDELITAS, welche eben die Schleuse verlässt. Sie ist ziemlich hoch, also leer und besteht aus zwei zusammengekoppelten Frachtern. Unser Schiff ist wohl auch ebenso lang, aber ob wir nach dem vor uns einfahrenden Frachter in der Schleuse auch noch Platz haben?
Aber voller guten Mutes fährt die Oscar Wilde ebenfalls noch durchs offene Schleusentor. Der leere Schüttgutfrachter hat auf der rechten Seite festgemacht und unbeirrt steuert unser Kapitän sein grosses Schiff mit einer Handbreite Abstand zur linken Schleusenwand und einem Meter zum Frachter in die Lücke. Nach den Erfahrungen im letzten Herbst als eigener Kapitän auf einem Schiff kann ich diese Kunst nur noch ehrwürdig bewundern. Wir kommen also auch ohne Ausflug zu unserem Kunstgenuss.
Dreizehn Meter höher fahren wir nun noch bei angenehmem Wetter den letzten Rest, den wir auf dem Rhein bei Tag fahren können, auf Sonnendeck bis zur nächsten Schleuse weiter, wo wir auch bald die Ausflügler wieder aufnehmen. Und schon sollte man sich wieder gebührend stylen, denn um halb sieben werden wir vom Kapitän Menno Vaasen im Salon zum Kapitänscocktail erwartet. Alles bis zum bitteren Ende, sprich Gala Dinner wird durchgezogen. Dabei habe ich schon vergeblich gehofft, dass dieses Spektakel in Nijmegen ins Wasser gefallen wäre. Ich hasse Käptn‘s Dinners und könnte gut sein ohne. Doch es ist heutzutage alles viel lockerer und in Krawatte kommen längst nicht alle und Frauen in langer Robe muss man direkt suchen. Das heisst, nein diese hier fällt gerade auf. Damit aber doch der Schein gewahrt bleibt, liegt auf jedem Platz, schön als weisse Weste zusammengefaltet eine Serviette, perfekt mit einem schwarzen Flieger gebunden.
Das exklusive mehrgängige Menü ist natürlich auch jetzt wieder auf jedem Teller kunstvoll angerichtet, das Fleisch in perfekter Garstufe und für René ebenfalls eine entsprechende Alternative. Vom Wein wird eingeschenkt, solang das Herz danach begehrt. Als Trostpflaster wegen dem Unfall wird uns für die ganzen Reise für die Getränke nichts verrechnet. Gekrönt wird das Ganze dann auch mit dem Einmarsch der Gladiatoren, welche Wunderkerzen schwenkend die Eistorte zuerst wie in einer Bolognese durch das ganze Restaurant tragen und dann die Tortenstücke auf die vorbereiteten Teller verteilen. Wieder Kunst, diesmal aus der Küche, wo sie 150 Mal mit Schokolade „Oscar Wilde“ auf den Teller geschrieben haben.
Also ich habe mich wegen dem Käptens Dinner wieder etwas versöhnt.
25.03.19
Heute muss man wieder selber packen. Ist ja auch besser so und ausserdem geht packen im Hotel viel schneller als daheim. Alles was ausserhalb des Koffers rumliegt, muss rein – fertig. Bei René liegt überhaupt nichts ausserhalb, also können wir das Gepäck mit der gelben Bezeichnung für Bus Nr. 2 vor die Kabinentür stellen und ab, zum Frühstück. Selber Gepäck schleppen gilt erst ab Anleger St. Johann. Die Kabinen müssen ab halb zehn Uhr geräumt sein.
Die Zeit bis zu unserem Eintreffen in Basel Klybeck kann man nun noch im Salon verlümmeln oder ein letztes Mal auf Sonnendeck den Spektakel der allerletzten Schiffshebung in der Schleuse Kembs mitverfolgen.
René hat sich noch ein wenig mit dem Kapitän Werner Lambelet unterhalten und dieser hasst diese Strecke mit den vielen Schleusen. Diese werden von EDF betrieben und unterhalten und es ist immer irgendeine Schleuse in Revision und verursacht deshalb Stockungen beim Schleusen der Schiffe. Er hält sich auch ein bisschen darüber auf, dass man für Thurgau Travel, welche ihre Schiffe bei Scylla fürs ganze Jahr chartern, auch nachts fahren muss. Obwohl man dreischichtig fährt und deshalb drei patentierte Kapitäne an Bord sind, ist dies für die Crew doch echt stressig. So kann man die Strecke Basel – Holland – Basel schon in einer Woche anbieten. Andere brauchen dafür zwei Wochen, oder man fährt nur in einer Richtung mit. Kann man da zwischen den Zeilen lesen, dass unser Unfall vielleicht doch darauf zurückzuführen ist, dass der Kapitän eingeschlafen ist? Dies ist nur eine Vermutung und Näheres zur Unfallursache hat nie jemand verlauten lassen. Es sei Sache der Untersuchungsbehörde, hat es geheissen. Eine Tatsache ist jedenfalls, dass jeweils nur ein Kapitän im Steuerhäuschen sitzt und es keine Totmannsicherung gibt, wie zum Beispiel auf einer Lokomotive.
Auch folgende technische Angaben habe ich von René bekommen, solches könnte ich mir nicht merken:
An Trinkwasser haben wir 200’000 Liter gebraucht, was einem Tagesverbrauch pro Person von 125 Litern entspricht. Wir haben auf der Reise total 1’580 km zurückgelegt und 27’000 Liter Diesel verbrannt. Pro 100 km ergibt dies einen Verbrauch von 1’708 Litern und pro Kopf rund 8,5 Liter, soviel wie ein mit 4 Personen besetztes Auto. Allerdings ist zu bedenken, dass hier ein schwimmendes Hotel mit kompletter Infrastruktur unterwegs ist. Das Schiff bietet 88 Kabinen für maximal 176 Passagiere und stellt ausserdem die Unterkünfte für 44 Crewmitglieder zur Verfügung.
Gegen halb zehn passieren wir das Dreiländereck und kurz darauf machen sich unsere Matrosen dran, unsere Oscar Wilde an der Travelmarvel, ebenfalls einem Hotelschiff festzumachen. Um an Land zu kommen, müssen wir diesem Schiff erst mal durch die gute Stube und gut, ist das mit dem Gepäck geregelt. Zwei Busse stehen für den Transfer hinüber zum St. Johann Anleger bereit und erst dort ist unsere Reise nun beendet und wir können unsere Koffer wieder selber weiterschleppen.
Dort aber muss ich zuerst vom Basiliskenbrunnen nochmals ein aktuelles Foto haben.
Im Forum vom Senior Basel, als man die Basiliskenbrünnli beschrieben hat, machte Erica folgende Behauptung:
Ich glaube, dass keine andere Schweizer Stadt so viele Brunnen hat wie Basel. Auf der Suche danach könnte man fast verzweifeln, denn viele sind klein, fast unscheinbar, aber immer haben sie einen Bezug zum Betrachter, wollen ihm etwas mitteilen. Und versteckt sind sie auch oft, aber sie sind da und machen mit ihrer Präsenz manche Strasse, kleinen Platz, oder sonst eine romantische Ecke heimelig und liebenswert.
Unterwegs ist mir dann klar geworden, dass dieser Basilisk mir bei der Abreise wohl auch etwas mitteilen wollte. Da ich aber die Sensibilität nicht habe, solche Hinweise zu deuten, habe ich nun halt die Geschichte hier aufgeschrieben. Und der Basilisk – friedlich und versöhnlich plätschert diesmal sein Wasser sogar im Sonnenschein in seinen Trog, wie es sich gehört.